In unserem Artikel „Die heilsame Kraft der Tiere“ wird die Methode Raidho kurz beschrieben. Raidho ist eine Form der Bewusstwerdung mit der Hilfe von Pferden, bei der jedoch nicht geritten wird. Im Interview mit Almut Burmeister, einer Raidho-Trainerin, die in Sigmertshausen in Oberbayern aktiv ist, erfährt man mehr über diese interessante Methode. Von Veronika Schwarzmaier

Almut Burmeister wohnt auf dem Land. Natürlich. Gleich hinter ihrem Hof beginnen die Felder und die grüne Landschaft. Draußen auf der Wiese neben dem Wohnhaus laufen die Hühner frei herum. Die gestreifte, sechs Monate alte Katze Tigerchen sitzt nur einen Meter von einem großen, weißen Huhn entfernt und starrt es an. Almut Burmeister steht vor ihrem Gartentor und sieht über die Hühnerwiese zur Pferdeweide, wo ihr großer Rappe Rondeño gerade mit dem jüngsten Mitglied der Herde, dem fuchsfarbenen Danny, spielt. Die Raidho-Trainerin lächelt unter einer großen buntgestreiften Pudelmütze. Wegen der Pandemie sitzen wir trotz der Herbstkälte draußen, an einem kleinen runden Tisch, immer mit einer frischen Blumenvase darauf, gleich beim Reitplatz. Dort, wo auch die Menschen, die Raidho machen wollen, ihre Stunde bei Almut beginnen.

Während des Gesprächs sieht Almut Burmeister immer wieder zu ihren Pferden hinüber, die in der Sonne auf der Hangwiese grasen. Fünf Pferde sind es. Eine buntgemischte Herde aus groß und klein, sogar ein hellbraunes Shetlandpony ist dabei. Und sie nimmt die Weite in den Blick. Von hier aus kann man sehen, wo sich Wiese und Himmel verbinden. Der Blick auf den Horizont ist frei.

War Raidho und diese Philosophie die erste, die du für einen alternativen Umgang mit Pferden und die Therapie mit Pferden gebraucht hast?

Ja, war es. Das hat mir bei den vorherigen Methoden mit Pferden immer gefehlt. Da hörst du sonst immer nur, dass du alles falsch machst, dass du nicht richtig bist und dass du es so und so machen musst. Bei Raidho aber hat zum ersten Mal jemand gesagt: ‚Was ist es denn, was es blockiert, dass sich dein Pferd bewegt? Was ist es denn, warum der nicht läuft?‘ So kannst du wirklich in dich schauen und erkennen, dass es deine inneren Blockaden sind. Und das ist bei Raidho dann auch noch so gut aufbereitet, dass du das jemand anderem erklären kannst. Das war eigentlich der Grund, weshalb mich das dann auch so fasziniert hat. Weshalb ich damals dann diese Ausbildung zur Raidho-Trainerin machen wollte.

Aber die Pferde muss man nicht anlernen? Sie können Raidho ganz von alleine?

Das können sie. Ich glaube, das ist auch ihre Aufgabe in dieser Zeit. Früher waren sie ja unsere Arbeitstiere und Kriegsgefährten. Ich glaube, jetzt sind sie dazu da, dass wir unsere Kraft finden. Und sie wollen uns mehr Bewusstsein bringen.

Das Pferd wird bei Raidho zum Lehrmeister. Glaubt der Mensch in seinem Alltag, dass er der Meister seines Lebens ist? Und wird ihm das vielleicht bei den Pferden anders bewusst, welche Stellung er hat?

Also der Mensch ist ja Meister seines Lebens. Er ist ja der Schöpfer dessen, was passiert. Und das ist das Tolle: Die Pferde bringen einen dazu, in diese Kraft zu kommen. Das war heute in der Raidho-Stunde genauso. Das Thema der Dame war: Früher wurde ihr gesagt, dass sie eine Träumerin sei. Jetzt hat sie aber erkannt: ‚Ich will meinen Traum leben.‘ Und sobald sie das ausgesprochen hatte, hat sie sich aufgerichtet. Dann sollte sie nochmal Rondeño führen. Und er ging freiwillig mit ihr mit! Er musste nicht gezogen werden, er musste nicht gezerrt werden. Denn sie war in ihre Kraft gekommen und hat gespürt: ‚Ich bin der Schöpfer.‘ Das Pferd hat das gespiegelt und es hat gezeigt, dass es auch leicht gehen kann. Dass es dann die Leichtigkeit hat.

Welche Probleme bringen denn die Menschen hierher, um Raidho zu machen? Welche Gründe haben sie, es auszuprobieren?

Vielfach finden sie halt die Pferde sehr anziehend. Weil sie schon in ihrer Kindheit den Traum hatten, mit Pferden zu sein. Die Pferde strahlen ja viel Freiheit aus und sie haben diese Kraft und diese Stärke, die Eleganz, die Schönheit. Das zieht die Menschen sehr an. Und sie wissen schon, sie haben irgendwie ein Thema oder ein Problem und kommen da aber nicht wirklich dahinter, wie sie damit umgehen sollen oder wie sie wieder in ihre Kraft zurückfinden sollen. Und sie empfinden das dann als sehr angenehm. Auch weil bei den Pferden nicht immer nur geredet wird. Stattdessen ist das oft so elementar. Es ist nur ein Sein mit dem Pferd und schon kommt ein Gefühl hoch. Man muss nicht alles zerreden, sondern es ist dann einfach da.

Wie läuft eine typische Raidho-Stunde ab?

Wir machen als allererstes immer ein ‚Ankommen‘: Wir setzen uns an den Tisch, ein bisschen erzählen, was gerade los ist und was die Menschen bewegt. (Mit sanfter Stimme.) Wie es ihnen geht. Dann gehen wir auf den Reitplatz und machen eine Art Meditation. Da geht es darum, sich wirklich zu erden. Seine Wurzeln in die Erde wachsen zu lassen und bewusst zu atmen. Das ist auch für die Sicherheit sehr wichtig, weil die Pferde, wenn man nicht geerdet ist, komisch reagieren können und Angst kriegen und wegspringen. Genauso wichtig ist es, aus dem Kopf heraus zu kommen, in die reine Präsenz, in das Hier und Jetzt. Denn das irritiert die Pferde auch, wenn jemand sich nur in seinen Gedanken befindet. In der Meditation ist es auch ganz wichtig, dass wir uns vorher diesen Kreis [des eigenen Raumes, Anm.: der Kreis des eigenen Raumes, mit einem Stock um den eigenen Standpunkt herum in die Erde gezeichnet, so weit der Arm mit Stock reicht.] eingezeichnet haben, um den wirklich bewusst wahrzunehmen. Heute konnten wir ihn nicht einzeichnen, denn alle Pferde standen auf dem Reitplatz. Die wollte ich nicht wegschicken. Da haben wir uns mit Stricken den Kreis gelegt. So dass man das wirklich visualisiert: Das hier gehört zu mir.

Und dann geht es los.

Dann gehen wir zu den Pferden. Derjenige darf mal in sich hineinspüren: ‚Was empfinde ich, wenn ich zu den Pferden auf die Weide oder in den Stall gehe? Was verändert sich innerhalb meines Empfindens auch auf körperlicher Ebene?‘ Oder auch: ‚Welche Gedanken kommen. Welche Gefühle?‘ Und dann darf derjenige, wenn er das möchte, sich eines der Pferde aussuchen. Das nehmen wir dann mit auf den Reitplatz. Dort machen wir entweder eine Übung oder wir atmen einfach nur mit dem Pferd. Wir lassen uns einfach auf die Dinge ein, die dann passieren.

Raidho ist eine Arbeit an der Seele. Es macht die inneren Räume sichtbar, die uns sonst unsichtbar oder verborgen bleiben. Was hat das helfende Pferd, was der helfende Mensch nicht hat?

Das Pferd ist der beste Coach, den es gibt. Denn es interpretiert nicht, es gibt keine klugen Ratschläge. Es ist absolut authentisch.

Manchmal tun die Pferde, was ich will und manchmal nicht. Welche Wirkung hat es auf die Menschen, dass plötzlich bei den Pferden nur die Gefühlswelt zählt und nicht mehr unser äußeres Handeln, hinter dem wir uns im Alltag so gut verstecken können?

Man muss sich darauf einlassen. Oft sind aber die Gefühle dann so stark da, dass man sie gar nicht mehr wegdrücken kann… Natürlich will man immer schön sein und alles präsentieren und zeigen. Man will zeigen, wie gut man etwas kann und die Übung jetzt schön und gut machen. Denn so sind wir erzogen, dass wir alles sehr toll machen wollen und dass es dann gut aussieht. Das Wichtigste jedoch ist, dass die Übung nicht funktioniert. Nur im Nicht-Funktionieren erkennst du deine Blockade und kannst ihr bewusst begegnen.

Wusstest du das von Anfang an, dass die Übung nicht funktionieren muss, um zu gelingen, oder musstest du das erst durch Versuch und Irrtum lernen?

Für mich war das sehr schwer, weil ich eigentlich auch jemand bin, der perfekt sein will, der, durch meine Erziehung, auch sehr unter Druck stand, alles gut machen zu müssen. Deswegen bin ich auch in der Ausbildung zur Raidho-Trainerin sehr an meine Themen gestoßen. Das auszuhalten, dass das dann nicht funktioniert, also das war für mich eher schwer (lacht.) Sehr schwer, ja. Aber deswegen kann ich mich dann auch so gut hineinversetzen in die Menschen, wenn das nicht funktioniert. Es ist gut, da diese Empathie zu haben.

Welche Übung überrascht dich jedes Mal, wenn du sie anbietest, weil sie so wirkungsvoll ist, oder so einen offenen Ausgang hat?

Ich versuche, mich im Moment immer mehr zu reduzieren. Immer weniger zu machen. Weniger ist mehr. Ich gehe jetzt oft auch nur noch auf die Koppel mit den Menschen und schaue, was da passiert.

Und da passieren unglaubliche Dinge. Ich hatte letztens eine Dame da, die wollte zu Rondeño hingehen. Rondeño ist einfach an ihr vorbei, grasenderweise, und hat sie gar nicht bemerkt. Dann kam natürlich gleich das Thema hoch: Sie fühlt sich nicht gesehen, sie fühlt sich klein und schwach. Wir haben uns das Thema angeschaut, das Gefühl. In der Zwischenzeit hatte sich Rondeño bewegt und stand dann ein Stück weit hinter ihr. Ich habe zu ihr gesagt: ‚Schau dich mal um, was jetzt passiert ist.‘ Ja, da stand Rondeño und fraß auch nicht, und dann konnte sie zu ihm. Sie hatte ja den Wunsch, sie möchte wirklich näher hin und ihn auch streicheln, und berühren. Sie ist zu ihm hingegangen und hat ihn gestreichelt. Es war was gelöst, und das Unglaubliche war dann: Rondeño legte sich hin! Er legte sich vor ihre Füße. Ich habe dann zu ihr gesagt: ‚Du kannst dich gerne zu ihm hinknien und ihn nochmal richtig streicheln und umarmen‘. Und dann kam ihr das: Dass jemand soviel Vertrauen zu ihr hat! Dieses Vertrauen ins Leben wiederzufinden, das war dann ihre Botschaft.

Und dann hat sie gemeint: ‚Das ist nicht normal, dass der sich jetzt da hinlegt, oder?‘ (lacht.) Man hat immer im Kopf, man muss jetzt eine Übung machen, man muss jetzt irgendwas machen, denn die Leute wollen was machen. Aber das ist eben gerade so ein bisschen mein Ding, dass ich mehr und mehr sage: Nein, wir machen jetzt nichts.

Einfach nur da sein, auch das ist Raidho

Kann es auch zu einem größeren Umweltbewusstsein führen, hier durch die Augen des Pferdes auf die Welt zu blicken? Glaubst du, dass das möglich ist?

Mit Sicherheit! Die Umweltverschmutzung, die wir auf energetischer Ebene schon aussenden, weil wir blockierte Gefühle haben und weil wir diese nicht anschauen wollen, ist eigentlich das größte Thema, finde ich. Erst mal müssen wir da aufräumen. Ich denke, dann ergibt sich das Übrige von alleine.

Wie viele ‚Sitzungen‘ mit dem Pferd brauchen die Menschen normalerweise, bis sie ihr derzeitiges Problem lösen und die Situation überwinden?

Wichtig ist zu wissen, dass eine Sitzung nicht reicht. Oft meint man ja, es muss ganz schnell gehen. Wichtig ist dagegen, dass man dranbleibt und sich dann auch die Geduld und die Zeit gibt. Oft kommen ja immer wieder die gleichen Themen. Da heißt es, immer wieder da hinzuschauen, um dann Stück für Stück in eine andere Positionierung zu kommen, sich zu zeigen und in die eigene Kraft zu finden.

Wie reagieren die Menschen, wenn sie hierherkommen, auf diese freien Pferde?

Alleine das löst in den Menschen schon Gefühle aus. Oft fließen dann auch Tränen, wenn sie sehen: Oooh, so viel Platz. Die sind frei. Denn dann denkt man eben an seine eigene Gefangenheit und dass man ja irgendwie funktionieren muss.

Es ist, als ob die Pferde genau wissen, wer ich bin. Ich kann mich verstellen und Begeisterung heucheln, aber wenn es nicht mein wahres Herz ist, wissen Pferde es gleich. Welche Vorteile hat es, dass die Pferde ohne Worte sind?

Weil das oft störend ist, wenn man immer etwas sagt. Denn oft löst das Gesagte in demjenigen schon etwas aus. Du spürst es dann auch richtig, dass du das jetzt lieber nicht hättest sagen sollen. Die Pferde hingegen machen einfach. Die sagen einfach nichts. Und das ist das Angenehme. Auch ist es so: Wenn ich jetzt jemandem ein Halfter in die Hand gebe und jemand hat noch nie ein Halfter angezogen… (lacht.) Dann geschieht das ganz anders, als bei jemandem, der das schon immer macht. Zum Beispiel kommt dann dieses Achtsame: Wie gehe ich zu dem Pferd hin? Da gehe ich erstmal in den Raum des Pferdes hinein.

Was würdest du dir wünschen, dass die Menschen mitnehmen, aus der Zeit mit den Pferden und hier bei dir auf dem Hof?

Dass sie in sich diese Selbstliebe finden. Dass sie zu sich selbst stehen, mit all ihren Fehlern und Schwächen und sich wertschätzen. Etwas anderes machen die Pferde ja auch nicht. Wenn man dann so ein Pferd, so ein großes Pferd berühren kann, das ist für die Menschen dann auch ein Gefühl von: ‚Ja, ich bin was, ich bin was!‘ Weil die Pferde das so ausstrahlen. Diese Schönheit und diese Eleganz. Man macht sich auch oft klein und lässt sein Licht nicht leuchten, damit der Andere sich nicht schlecht fühlt. Aber indem du strahlst, kommt der Andere ja auch in seine Kraft. Denn er kann es bei dir sehen.

Bildnachweise: Raidho-Hof Almut Burmeister, Titelbild Veronika Schwarzmaier – Almut Burmeister mit ihrem Rondeño