Maßloser Ressourcenverbrauch, Dauerwettbewerb, Gewinnmaximierung und Burn-out-Schicksale zeigen uns die Schieflage unserer Gesellschaft. Die Gemeinwohlökonomie hingegen stellt ökologische und soziale Verantwortung in den Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns. Ein Ansatz, der nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für jeden Einzelnen wertvolle Anregungen geben kann. Von Martina Guthmann.
„Eigener Wohlstand hängt langfristig vom gemeinschaftlichen Wohlstand ab“, ist Christian Felber, Entwickler des Konzepts der Gemeinwohlökonomie überzeugt. Der einfache Grund: Wer auf Kosten anderer Gewinne einfährt, verursacht Verluste und Verlierer. Diese schaden auf Dauer der Gemeinschaft und auf Dauer auch sich selbst. Engagiert man sich aber für ein gemeinsames Ziel, für eine sozial und ökologisch verantwortliche Zukunft, können nur alle gewinnen. Helmut Lind, Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München, praktiziert dieses Prinzip in seinem Unternehmen: „Wir sind davon überzeugt, dass die Zukunft dem Miteinander gehört, nicht dem Gegeneinander. Und wir glauben fest daran, dass man als Unternehmen in der heutigen Zeit sozial und ökologisch gerecht handeln kann – wenn man den Willen dazu hat.“
Gemeinwohl-Bilanz für soziale und ökologische Fairness
Die Gemeinwohl-Bilanz misst unternehmerischen Erfolg folglich auch nicht nur am kurzfristigen Gewinn, sondern an dessen gesamtwirtschaftlicher Verantwortung, seiner ökologischen Nachhaltigkeit, seiner sozialen Gerechtigkeit, Solidarität, demokratischem Miteinander und Transparenz. Diese Werte gelten im ganzen Umfeld eines Unternehmens: für den Umgang mit Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden oder Geldgebern. Gemäß dem Konzept der Gemeinwohlökonomie kann ein nicht nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen eine Negativbilanz von bis zu MINUS 2850 erreichen, etwa für unterlassene Steuerpflicht, hohe Umweltbelastungen, Verletzungen im Arbeitsrecht oder Nicht-Offenlegung seiner Tochterunternehmen. Die bestmögliche Bilanz beträgt PLUS 1 000 Punkte und kann erreicht werden, wenn von der Arbeitsplatzqualität bis zu ökologischen Gestaltung des Produktes, von der Wahl nachhaltig agierender Geschäftspartner bis zur innerbetrieblichen wie gesellschaftlichen Transparenz nichts mehr verbessert werden kann. Der Bergsportausrüster Vaude gehört zu den Unternehmen, die sich seit Jahren im Sinne der Gemeinwohlökonomie engagieren und beweisen, dass dieser Ansatz nicht wirtschaftlichem Erfolg widerspricht. Vor kurzem legte das erfolgreiche Unternehmen seine erste äußerst positive Gemeinwohlbilanz von PLUS 502 Punkten vor. So hat sich das Unternehmen unter der Geschäftsführung von Dr. Antje von Dewitz mit seinem ökologischen und sozialen Engagement weltweit als nachhaltigster Outdoor-Ausrüster Europas positioniert.
Win-Win-Situation für alle Beteiligten
Karin Leeb, geschäftsführende Gesellschafterin des Hotels Hochschober auf der Turracher Höhe und Botschafterin der Gemeinwohlökonomie, erklärt die Motivation, warum auch sie ihr Unternehmen nach der Gemeinwohlbilanz überprüfen lässt, folgendermaßen: „Schon vor vielen Jahren sprach mein Vater von der ‚zweiten Bilanz‘, der familiären Bilanz. Wie steht es um die Qualität der Beziehungen, um die psychische und physische Gesundheit der Unternehmerfamilie, der Mitarbeiter und ihrer Familien? Der Ansatz, dass soziales Engagement ebenso wie verantwortungsvoller Umgang mit den Energie-Ressourcen belohnt statt bestraft wird, deckt sich mit dem, was für meine Großeltern, Eltern, für meinen Mann und mich entscheidend ist: gelingende Beziehungen als Basis des persönlichen und unternehmerischen Erfolges, Verantwortung für die Umwelt und nachfolgende Generationen sowie Verantwortung gegenüber unseren Gästen.“
Unternehmer zum Wohle aller sein
Auf welch vielfältige Art Menschen dazu beitragen, die Welt ins Gute wachsen zu lassen, zeigt das von Bill Drayton gegründete Netzwerk Ashoka. Der gemeinnützige Verband unterstützt weltweit Unternehmer, die nicht wegschauen, wo sie gesellschaftliche Missstände erkennen. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland zahlreiche kreative wie beeindruckende Ashoka fellows: Da ist Frank Hofmann, dessen Organisation „Discovering Hands“ blinde Frauen dazu befähigt, mit einer Tastuntersuchung die Brustkrebsvorsorge zu verbessern und so ein neues Tätigkeitsfeld im präventiven Gesundheitssystem schafft. Da ist Ramazon Salman, der gut integrierte Migranten zu Mediatoren ausbildet, die ihrerseits Migranten in das öffentliche Leben in Deutschland einbinden. Da ist Heinz Frey, der mit seiner Initiative „Dorv-Zentren“ Dorfbewohnern und Bewohnern von Stadtquartieren die Chance gibt, aus eigener Kraft den weit verbreiteten Teufelskreis aus Abwanderung und kommerzieller Konzentration zu durchbrechen. Da ist Gülcan Nitsch, deren 2006 gegründete Initiative „Yesil Cember“ mittlerweile als eigenständige Abteilung zu Deutschlands größtem Umweltverband BUND gehört. Ihr Ziel: Migranten in Deutschland zu Umweltschützern zu machen. Da ist Manuela Richter-Werling, die gemeinsam mit Fachkräften und ehemals psychisch Kranken die „mentale Fitness” von Schulkindern stärkt.
Unternehmer seines Lebens werden
„Auf magische Weise ist jeder ein Unternehmer seines Lebens“, sagt Tilo Wondollek vom Netzwerk „Unternehmer meines Lebens“ und ermutigt Menschen, das zu tun, was sie im Innersten für richtig halten. Sicher ist: Jene Werte, die zwischenmenschliche Beziehungen gelingen lassen – Vertrauen, Solidarität, Würde, Respekt, Gleichheit und Voneinander lernen – führen auch im Arbeitsleben nachhaltiger zum Erfolg als Konkurrenz, Rücksichtslosigkeit, Egoismus, Gier, Abgrenzung oder Misstrauen.
Eine lebensbejahende Wirtschaft kann jeder mitgestalten: „Schon mit kleinen Änderungen kann man viel Positives bewirken, egal in welchem Umfeld und in welchem Beruf man tätig ist“, ist Tilo Wondollek überzeugt. So entsteht nach und nach eine Welt, in der jeder im Sinne des Gemeinwohls handelt.
Gemeinwohlökonomie
Das Konzept der Gemeinwohlökonomie wurde von dem Salzburger Philologen Christian Felber entwickelt und zielt auf eine ethische Marktwirtschaft, deren Ziel das gute Leben für alle ist. Die Gemeinwohl-Bilanz eines Unternehmens misst unternehmerischen Erfolg nicht nur am Gewinn, sondern an seinem Beitrag zum Gemeinwohl. Dazu zählen Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und Transparenz.
www.gwoe.net
Das Netzwerk Ashoka
Der amerikanische Unternehmensberater und Wirtschafts-Professor Bill Drayton gründete die Non-Profit-Organisation Ashoka und unterstützt damit weltweit Menschen, die sich mit innovativen Ansätzen und unternehmerischer Leidenschaft für die Lösung eines gesellschaftlichen Problems einsetzen.
germany.ashoka.org
Kennen Sie einen solchen besonderen Menschen? Ansprechpartner für Ihren Tipp ist Jan Hindrichs
T: 089 – 21 75 49 751
, jhindrichs@ashoka.org
Film-Tipp
Who Cares
Sich kümmern statt verkümmern: Der Film zeigt weltweite Beispiele, wie Menschen mit kreativen Ideen ein Zeichen für das Gemeinwohl setzen.
www.whocaresthefilm.com
Foto: Tilo Wondollek – www.unternehmermeineslebens.de
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Beitrag: Wo ein Wille, da ein Weg