Mit Longe côte – Wasserwandern – schwappt eine neue Sportart von Frankreich nach Deutschland, die das Zeug dazu hat, sich zum maritimen Breitensport zu entwickeln: Unabhängig von der Jahreszeit und der körperlichen Fitness lässt sich Wasserwandern überall an Stränden praktizieren und die vitalisierenden Effekte sind enorm. Andrea Tichy hat mit dem Wasserwandern Bekanntschaft gemacht.
Ich liebe das Meer und ich kann mich dort innerhalb kürzester Zeit erholen. Der Erholungseffekt ist für mich jedoch dann am höchsten, wenn die Strände nicht überlaufen sind und es nicht allzu heiß ist. Allerdings ist das Meer dann oft recht kalt und ich halte es nur kurz im Wasser aus, obwohl ich Meerwasser auf der Haut sehr genieße. Ich finde: So richtig intensiv erlebt man das Meer erst beim Eintauchen. Strandspaziergänge können mit dieser Intensität nicht mithalten.
Deshalb begeistert mich eine neue Sportart, die ich in Frankreich vor einigen Wochen erstmals ausprobiert habe.
Günstig und unkompliziert
Der erste Anblick bei unserem abendlichen Spaziergang am Strand der Opalküste ist eher befremdlich: „Was machen die Leute denn da im Wasser?“, so denke ich. Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht zieht eine Gruppe von rund einem Dutzend Menschen durch das schulterhohe Wasser. Jeder von ihnen hält ein langes Paddel in der Hand. Das Tempo, das die Damen und Herren in romantischer Sonnenuntergangsstimmung an den Tag legen, ist beachtlich.
Als uns die gutgelaunte Mannschaft wenig später beim Landgang in die Arme läuft, bemerke ich, dass die meisten Wasserwanderer Neoprenanzüge und Neoprenschuhe anhaben. „Ist das nicht ganz schön hart?“, frage ich auf Französisch eine Frau meines Alters, die mir nicht gerade den Eindruck erweckt, besonders durchtrainiert zu sein. „Pas du tout dur – plutôt vitalisant…“ („nein überhaupt nicht, vielmehr vitalisierend“) gibt sie lachend zur Antwort und ich merke ihr an, dass sie sich auf angenehme Art körperlich erschöpft fühlt.
Am nächsten Tag möchte ich das auch probieren und melde mich bei der Base du clos fleuri
in Bray-Dunes für 90 Minuten Wasserwandern an. Die Gruppe startet an diesem Tag noch etwas später als gestern, nach Einbruch der Dunkelheit. „Zugangsbeschränkungen“ gibt es keine – jeder, der mitmachen möchte, ist willkommen und das Wasserwandern ist auch nicht teuer. Die Dreiviertelstunde geführtes Wasserwandern kostet inklusive Leih-Ausrüstung gerademal sieben Euro.
Behütet im Gänsemarsch
Nach einer kurzen Anleitung zu Land geht es direkt ins Wasser. Der erste geführte „See-Gang“ per pedes und mit Paddel wird von den Franzosen liebevoll „Taufe“ genannt. Etwas ungewohnt noch bei den ersten Schritten, fühle ich mich bald sicher und behütet im Pulk, wie beim Ausflug einer Gänsemama mit ihren Kindern. In großen Schritten und mit ausladenden Ruderbewegungen marschiere ich im Gänsemarsch der Gruppe und komme ganz schön ins Schwitzen. Ohnehin ist mein ganzer Körper innerhalb von Sekunden im Wasser nass geworden. Das durch meine Körperwärme wohl temperierte Wasser zwischen Haut und Neopren umhüllt mich nun wie eine Schutzschicht. Der Mond glitzert aufs Meer – so intensiv habe ich die Meereslandschaft noch nie vorher erlebt.
Das Meer als Naturgewalt
Als der Erste in der Reihe ausschert und sich zum Ausruhen als Schlusslicht hinten einreiht – er hatte wohl in Sachen Wasserverdrängung den härtesten Job – übernimmt sein Hintermann die Führung. „Den Küstenabschnitt muss man schon wie seine Westentasche kennen, um als Trainer eine Gruppe sicher leiten zu können“, erklärt mir Hervez, der selbst schon seit vielen Jahren bei dieser Sportart dabei ist. „Denn das Meer ist eine Naturgewalt. Sowohl was die Gesundheitseffekte aber auch die Risiken anbelangt. Deshalb sollte niemand alleine und ohne Techniktraining einfach so losgehen.“ Es ist ein wenig so wie in den Bergen, wo man sich auch leicht überschätzen kann.
Bald verstummen die Gespräche, die Tipps zur Paddelhaltung sind ausgetauscht, die Begeisterung über den Sternenhimmel ausgiebig zum Ausdruck gebracht. Jeder genießt nun in Ruhe die unglaubliche Stimmung. Schweigend schwingen wir das Paddel und bahnen uns den Weg durch das dunkle Meerwasser. Dann wird es nochmal spannend, denn die Gruppe macht kehrt, um sich wieder dem Ausgangspunkt anzunähern. Jetzt geht es merklich leichter, weil wir den Wind im Rücken haben, dafür bekommt mein anderer Arm beim Paddeln mehr zu tun. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich jemals mit dem Meer so verbunden gefühlt hätte: Jede Welle spüre ich auf meinem ganzen Körper.
Angenehm aktiviert von Wellen und Wind finde ich mich an Land wieder und versuche unseren Weg im Wasser nachzuvollziehen. Das unterscheidet mich von einer meiner Mit-Wanderinnen: Erst jetzt realisiere ich, dass sie blind ist. Mit ihrem feinen Gespür für Wind und Wellen war sie mir im Meer überlegen. Während ich mich aus meinem Neoprenanzug schäle, kommt der Wunsch in mir auf, dass ich gerne mal wieder Wasserwandern würde. Mittlerweile habe ich in Erfahrung gebracht: In Frankreich gibt es schon jetzt viele Standorte entlang der Atlantik- und Mittelmeerküste. Und französische Auswanderer
haben diese Idee inzwischen auch nach Kalifornien und Australien exportiert.
Nun schwappt die Lust am Wasserwandern auch nach Deutschland. Mich freut das, denn hierzulande gibt es viele Gegenden, für die sich „Longe côte“ anbieten würde. Von der Nordsee über die Ostsee bis hin zu den bayerischen Seen.
Foto: Longe Côte – S entiers bleus
QC31W01
Longe côte in Frankreich
Longe côte heißt übersetzt so viel wie „der Küste entlang“ und wurde 1997 von dem Rudertrainer Thomas Wallyn in Dunkerque erfunden. Ihm ging es darum, ein Ausdauertraining zu entwickeln, mit dem sich weniger beanspruchte Muskelpartien stärken lassen. Longe côte ist effizienter und gelenkschonender als Wandern, unkomplizierter als Rudern, natürlicher als Aquajogging, geselliger als Schwimmen, wind- und wetter-unabhängiger als andere Wassersportarten. Aufgrund seiner Vorteile ist Longe côte an mehr als 30 Standorten entlang der französischen Küste zu finden und wird von über 2000 Mitgliedern aller Altersgruppen regelmäßig und von über einer Million Gästen und Touristen bei Gelegenheit praktiziert.
www.longecote.fr
Wasserwandern in Deutschland
Seit 2013 gibt es Longe côte unter dem Namen „Wasserwandern“ auch in Deutschland. Das Ganzkörpertraining wird hierzulande von
www.wasserwandern.org eingeführt. Bei dieser Organisation können sich Trainer in der zertifizierten Original-Methode ausbilden lassen. Außerdem bietet Wasserwandern.Org auch Kurse für Endverbraucher an. Aktuelle Informationen bezüglich Standorte und Kurstermine sind unter info@wasserwandern.org zu bekommen.
Aktuelle Informationen zu Schnupperkursen an der
Deutschen Ostsee unter www.wasserwandern.org