Das einzige Sanatorium für Wildvögel in Südosteuropa wird vom Sokolarski Centar Sibenik in Kroatien betrieben. Ljerka Oreskovic-Herrmann hat sich für Quell dort umgesehen.

Das einzige Sanatorium für Wildvögel in Südosteuropa wird vom Sokolarski Centar Sibenik in Kroatien betrieben. Ljerka Oreskovic-Herrmann hat sich für Quell dort umgesehen.

Noch vor knapp zehn Jahren war die Straße nicht geteert, entlang an Bauernhöfen wand sich ein Weg bis zum Wald. Diese kleinen und insbesondere für die umgebenden Bauernhöfe nicht unwichtigen Veränderungen sind es, die bei einem erneuten Besuch nach Jahren auffallen, aber auch große machen sich bemerkbar: Inzwischen gibt es Schulbusse, die der Straße folgen und Schulklassen – im wahrhaftigsten Sinne – in den Wald befördern. Zum Erhalt der Vogelwelt in Mitteldalmatien, der sich die Verantwortlichen vom Sokolarski Centar Šibenik gewidmet haben, ist eine weitere Aufgabe hinzugekommen: die pädagogische Arbeit mit Schulkindern. Anschaulicher kann Unterricht nicht stattfinden. Nicht nur in Bezug auf biologische Gesetzmäßigkeiten, sondern auch in praktischer Hinsicht – wie aus einem privaten Engagement ein Dienst an der zu bewahrenden Natur wurde.

Die Station ist ganzjährig offen, im Sommer ist der Andrang am größten und es sind in dieser Jahreszeit eher Touristen, die mehr als nur Strandurlaub suchen und sich auf den Weg zum Sibenik Falconry Centre machen. Einen großen Greifvogel aus nächster Nähe in seiner natürlichen Umwelt zu erleben, hinterlässt einen bleibenden Eindruck und Respekt vor einem Wildtier, das der Mensch nie in ein gezähmtes Kuscheltier verwandeln kann. Emilio Menđušić, Initiator und Leiter des Projekts, befand sich in einer persönlichen Krise, als er den Rat seiner Frau folgte und diesen Wald in Dubrava, so heißt der Ort acht Kilometer von Šibenik entfernt, zu seinem Rückzugsort und dessen Erhalt zu seiner Lebensaufgabe machte. Ein Bauer brachte ihm einen Jungvogel, den er verletzt im Feld fand, zur Pflege. Auswildern konnte man diesen nicht mehr, er war bereits an den Menschen gebunden und hätte sich in der freien Wildbahn nicht mehr zurechtfinden und behaupten können – mit der Zeit wurden es immer mehr verletzte Vögel, die in Emilios Wald Aufnahme und Versorgung fanden. Aus dem privaten Refugium entstand in den vergangenen dreißig Jahren ein zwei Hektar großes Biotop, in das er kaum eingegriffen hat, keine Schneisen wurden geschlagen, alte Bäume bleiben liegen und bieten anderen Tieren ein Zuhause. Nur der Parkplatz, früher im Wald gelegen, wurde nach draußen verlegt, zu Fuß ist der letzte Weg zur Station zurückzulegen – kein dröhnendes Motorgeräusch dringt ein. Die Ruhe entspannt und selbst die Schulklasse fährt automatisch ihren Lautpegel herunter, tierische Laute – unermüdlich zirpende Zikaden – gehören zum Sommer im Süden als Geräuschkulisse dazu. Auch der laute Ruf eines Vogels.

Insgesamt 45 Vögel – Falken, Habichte, Eulen, Adler und andere Wildvögel – befinden sich im Augenblick dauerhaft oder kurzzeitig in Obhut der Vogelstation. Und einzigartig ist sie schon deswegen, weil es das einzige „Vogel-Krankenhaus“ in der südosteuropäischen Region beherbergt. In der Krankenstation – aufgrund von Renovierungsarbeiten ist sie für den Besucherandrang gesperrt, operiert wird aber weiterhin – werden kranke oder verletzte Tiere von einem Veterinärmediziner behandelt. Alles ist vorhanden, vom Röntgenapparat bis hin zum OP-Tisch. Je nach Art der Verletzung bleiben die Tiere nur wenige Tage oder mehrere Wochen auf der Station, um anschließend ganz allmählich wieder in die Wildnis entlassen zu werden. Sie sind allerdings strengstens von den dauerhaften „Bewohnern“ getrennt, denn Priorität und oberstes Ziel bleibt bei aller Fürsorge immer, sie ihrem gewohnten Lebensraum zurückzuführen. Das setzt voraus, zu wissen, wie das Tier lebt. Nachtaktive Vögel – wie die z.B. die Waldohreulen, die nicht nur gut hören, sondern auch hervorragend sehen können und zwischen dreieinhalb und viereinhalb Kilogramm auf die Waage bringen – jagen erst nach Einsatz der Dämmerung und verfügen über einen anderen Schlafrhythmus, als die am Tag jagenden Falken oder Habichte. Auch die Ernährung wird auf die jeweilige Vogelart sorgsam abgestimmt.

Doch auch die „zahmen“ Dauerbewohner bleiben Wildvögel. Wenn sie zur Fütterung auf dem Arm landen – ein Falke ist eine imposante Erscheinung, ein vornehmes Raubtier, dessen Flügel herrlich ausgebreitet durch die Lüfte gleiten –, spürt man ihre Kraft und eigenen Willen. Zum Überleben brauchen sie den Menschen, und jeder gefiederte „Untermieter“ besitzt nicht nur einen eigenen Schlafplatz, sondern auch einen eigenen Betreuer – drei sind für sie zuständig – auf den er konzentriert ist und zuverlässig reagiert. Zugleich strahlen sie eine vollkommene und absolute Unabhängigkeit aus. Vielleicht zeugt dies von unserer Attitüde Tieren menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, was Emilio Menđušić entschieden zurückweisen würde. Die Fähigkeiten der in seinem Wald lebenden Vögel faszinieren ihn, und er empfindet es als seine Verpflichtung ihren Lebensraum zu erhalten. Ihr Hoheitsgebiet bleibt immer die Luft und kein technisch noch so perfekt konstruiertes Flugzeug wird je ihre Eleganz und majestätische Gravität erreichen, während der Mensch aus ihrer Perspektive klein und unbedeutend erscheint.

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