Warum ist es so wichtig, dass wir uns um unsere Ernährung kümmern? Weil sie mehr Wirkung als viele Medikamente auf unsere Gesundheit hat.

Der britische Kardiologe Aseem Malhotra und der Dokumentarfilmer Donald O’Neill fahren in „Die Pioppi-Diät“, ihrem Plädoyer für gesunde Ernährung, viele schwere Geschütze auf, die mit weit verbreiteten Grundsätzen aufräumen. Pioppi ist ein Dorf in Italien, in dem die Menschen nicht nur ungewöhnlich alt werden, sondern sich bis ins hohe Alter einen guten Gesundheitszustand erhalten können. Das war schon in den 1970er Jahren dem amerikanischen Forscher Ancel Keys aufgefallen, aus dessen Beobachtungen die „Mittelmeer-Diät“ abgeleitet wurde. Laut den Autoren gibt die „Mittelmeer-Diät“ aber nicht das wider, was in Pioppi passiert. Der erste Fehler liegt in der Übersetzung, denn nur im Deutschen hat „Diät“ etwas mit Abnehmen zu tun. Auf Italienisch geht es bei „dieta“ einfach um Ernährung, genauso bei „diet“ in der englischen Sprache. Mit der Ernährung hatte Keys sich zudem nur einen Teil der Lebensweise der Menschen angeschaut. Nicht berücksichtigt hatte er, dass die Einwohner von Pioppi sich regelmäßig bewegen, was nicht mit Sporttreiben gleichzusetzen ist, sondern einfach bedeutet, dass sie jeden Tag körperlich aktiv sind. Auch hatte er außer Acht gelassen, dass die Menschen auf neudeutsch „Intervallfasten“. Das heißt, dass sie regelmäßig Mahlzeiten auslassen, einfach, weil sie nicht genügend zu Essen haben. Keys selbst war schon aufgefallen, dass er die Bedeutung des Cholesterinwertes überschätzt hatte. Malhotra und O’Neill versuchen nicht, eine perfekte Erklärung abzuliefern, inwieweit sich die Lebensweise der Menschen auf ihre Lebenserwartung auswirkt. Sie sind aber überzeugt, dass sie Grundprinzipien herausarbeiten können. Dass Prävention in den modernen Gesundheitssystemen stark vernachlässigt wird, ist bekannt. Die Krankenkassen bezahlen erst dann für eine Ernährungsberatung, wenn das Kind in den Brunnen gefallen und man schon ordentlich an Gewicht zugelegt hat. Die Autoren kritisieren, dass viel Geld in die Erforschung von Krankheiten gesteckt wird, während die Gesunden dabei alleine gelassen werden, gesund zu bleiben.

Kurzfristige Bedürfnis-Befriedigung

Zwei grundlegende Fehleinschätzungen machen Malhotra und O’Neill dafür verantwortlich, dass die Zahl der Übergewichtigen immer weiter steigt: Zum einen können wir nicht erkennen, dass alles, was wir zu uns nehmen, uns entweder gesund bleiben lässt oder zur Zeitbombe wird, die uns Krankheit und einen frühen Tod bringt. Zum anderen glauben wir, dass wir unsere Nahrung bewusst auswählen. Zur ungesunden Wahl treibt uns der Drang, unsere Bedürfnisse kurzfristig zu befriedigen. Die Aussicht, irgendwann in der fernen Zukunft durch gute Gesundheit für unsere gesunde Wahl belohnt zu werden, geht bei vielen oft unter bei der schier grenzenlos erscheinenden Auswahl an nährstoffarmen und schmackhaftem Junk-Food, das inzwischen so leicht verfügbar ist. Würden die Menschen gesünder alt werden, brächte dies nicht nur viel Glück und Zufriedenheit, sondern die Volkswirtschaften müssten sich auch nicht mehr so große Sorgen wegen der Bevölkerungsentwicklung machen. Die Kosten für die medizinische Versorgung steigen nur dann, wenn die Menschen chronische Krankheiten bekommen. Das lässt sich verhindern, indem ein Lebensumfeld geschaffen wird, in dem die gesunde Wahl auch die einfachere ist. Hier sehen Malhotra und O’Neill den Staat stärker als bisher in der Pflicht. Dass dieser in unserem jetzigen Lebensumfeld nur auf Information und Aufklärung setzt, ist für sie so, als ob man einem Kind, das in einem Süßwarenladen aufwächst, das Essen von Süßigkeiten verbieten wollte.

Großer Irrtum „Low Fat“ 

Ancel Keys‘ Forschungen führten zu einer Änderung der Ernährungsrichtlinien in den USA und in Großbritannien. Diese setzten nun auf „Low Fat“, d. h. man sollte nicht mehr als 30 Prozent der täglichen Kalorienmenge in Form von Fett zu sich nehmen und davon sollten höchstens 10 Prozent gesättigte Fettsäuren enthalten. Die Autoren sehen in dieser Empfehlung eine Erklärung für die Zunahme der Adipositas- und Typ 2 Diabetes-Raten. Sie zitieren eine Studie der Credit Suisse, wonach 90 Prozent der Kalorien, die Amerikaner seit den 1960er Jahren zusätzlich aufnehmen, aus raffinierten Kohlehydraten und Pflanzenölen stammen. Und als „schlichtweg falsch“ bezeichnen sie die Behauptung, dass gesättigte Fette die Arterien verstopfen. Ihrer Meinung nach sprechen mehrere Gründe für eine fettreichere Ernährung: Der Körper braucht essenzielle Fettsäuren und Fett, um bestimmte Vitamine aufzunehmen. Unverarbeitete natürliche Lebensmittel mit hohem Fettgehalt enthalten immer gesättigte und ungesättigte Fettsäuren, nur bei Milchprodukten überwiegt der Anteil der gesättigten. Ein Schweinekotelett enthält sogar weniger gesättigte Fettsäuren als Olivenöl. Fett macht satt, hat die geringste Wirkung auf den Anstieg von Glukose im Blut, und einige fettreiche Nahrungsmittel tragen dazu bei, das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle zu verringern. Die Autoren erklären die Zusammenhänge und belegen sie mit wissenschaftlichen Studienergebnissen. Hieraus leiten sie ein „Lebensprogramm“ ab, das neben einer Rezeptesammlung Übungen zur körperlichen Fitness und zur Stressreduktion enthält.

Zeit für ein neues Ernährungs-Experiment?

Die „Low Fat“-Philosophie ist längst zum Bestandteil unserer Kultur geworden, und langsam verstehen wir, dass wir zu viele Kohlehydrate essen. Auf Fleisch verzichten wir am besten auch gleich. Schaut man sich die Ernährungsempfehlungen an, bleiben neben fettarmen vegetarischen Gerichten viele Verbote bzw. Einschränkungen. Es verwundert nicht, dass viele Menschen verunsichert sind, die Empfehlungen entweder ignorieren oder sich in Nischen-Ernährungsweisen flüchten. In den letzten Jahrzehnten haben wir eine Art Experiment gemacht: Wir haben Fett von unseren Speiseplänen weitestgehend gestrichen, und wertiges Fett durch Margarine und Sonnenblumenöl ersetzt. Zugleich haben wir unsere Aufnahme von Kohlehydraten, insbesondere von Zucker, dramatisch erhöht. Es liegt auf der Hand, dass die veränderte Ernährung einen Einfluss auf die gestiegene Prävalenz von ernährungsbedingten Krankheiten haben muss, insbesondere von Adipositas und Diabetes Typ 2. Sie kennen Studien, laut denen gesättigte Fettsäuren schädlich sind? Malhotra und O’Neill zählen andere Studien auf. In einigen Jahren oder Jahrzehnten wird wahrscheinlich eine Seite korrigiert werden. So, wie es auch Jahrzehnte gebraucht hat, bis Fehler in der Forschung von Ancel Keys aufgedeckt wurden. Bis dahin werden wir mit beiden Meinungen leben und selber entscheiden müssen, wie wir damit umgehen. Malhotra und O’Neill geben endlich mal wieder eine Erlaubnis: Fett und Fleisch sind einfach nur köstlich und machen satt. Die Rezepte sind großenteils praktikabel. Es ist an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren. „Low Carb“ ist sowieso schon angesagt. Viel Lebensqualität und Spaß beim Essen bringt „High Fat“. QC52E03

Buch-Tipp

Aseem Malhotra & Donald O‘Neill
Die Pioppi-Diät
Der 21-Tage-Plan, um abzunehmen, fit zu werden und länger zu leben.
Taschenbuch
22. Januar 2018

Verlag: Riva
ISBN 978-3742304957
288 Seiten, 14,99 Euro

Die Autorin

Expertin für gesundheitlichen Verbraucherschutz.
Dr. Sabine Bonneck ist Soziologin und hat über Jahre zu Acrylamid in Lebensmitteln geforscht. Seither vereint sie den naturwissenschaftlichen mit dem sozialwissenschaftlichen Blick und widmet sich gerne Themen, die in ihrer Komplexität schwer zu durchschauen sind. Dr. Sabine Bonneck arbeitet als Journalistin, PR- und Social Media-Expertin. sabinebonneck.de

Bildnachweis: Titelbild; Fotalia | Julia Fuhrmann; Foto Autorin; Dr. Sabine Bonnek