Rund um Ackergifte wie Pestizide werden viele Diskussionen geführt,
doch die Sachlage ist schwer zu durchblicken. Die Biochemikerin
Dr. Renate Pusch-Beier hat den aktuellen Sachstand zusammengefasst.

Zu den bekanntesten Pestiziden gehört das Ackergift Glyphosat, das seit Jahren im Fokus der Diskussionen steht. Ein Bericht der Europäischen Chemikalien Behörde ECHA vom Sommer 2017 kommt zu dem Schluss, dass es keine sicheren Beweise für die kanzerogene Wirkung am Menschen gibt. Doch die ständig wachsende Zahl der Klagen in den USA mit Zahlungen durch den Glyphosat-Hersteller Bayer, die in mehrstellige Milliardenbeträge gehen, deuten auf die Ursache der verhandelten Fälle durch die krebserregende Wirkung von Glyphosat hin. Die Bundesregierung beschloss ein Totalverbot zum 31.12.2023. Dann läuft voraussichtlich auch die Genehmigung in der EU inklusive Übergangsfrist aus. Die geplante „verbindliche Beendigung der Anwendung“ von glyphosathaltigen Mitteln ist Teil eines Programms zum Insektenschutz und wurde im September 2019 in Berlin beschlossen.
Pestizide mit massiven Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sind beispielsweise auch Fipronil und Neonicotinoide, die als Unkrautvernichtungsmittel hauptsächlich zur Saatgutbehandlung angewendet werden. Diese Pestizide wirken systemisch, das heißt, der Wirkstoff wird im Saftstrom an alle Stellen der behandelten Pflanzen (auch Wurzeln und neue Pflanzenteile) transportiert. Sie gelten als besonders bienengefährlich, da sie über dauerhafte Störungen des zentralen Nervensystems zum Tod von Bienen und Insekten führen können. Fipronil steht unter Verdacht kanzerogen zu sein und zu den hormonaktiven Substanzen (EDCs = Endocrine Disrupting Chemicals) zu gehören.
Neonicotinoide sind hochwirksame Insektizide. Sie blockieren die Weiterleitung von Nervenreizen, da sie an den nicotinischen Acetylcholinrezeptor von Nervenzellen binden. Neonicotinoide sind selektive Nervengifte, die auf die Nervenzellen von Insekten weit stärker als auf die Nerven von Wirbeltieren wirken. Die drei Neonicotinoide Imidacloprid, Thiamethoxam, Clothianidin wurden in der EU am 18.04.2018 für die Anwendungen im Freiland verboten und sind nur noch für den Einsatz im Gewächshaus zugelassen. In der Folge verbot die EU ein weiteres Neonicotinoid. Seit Mai 2020 gilt ein Verbot für Thiacloprid, das fruchtschädigende Wirkung hat und vermutlich kanzerogen ist. Es greift in das menschliche Hormonsystem ein und ist damit eventuell den hormonaktiven Substanzen (EDCs) zuzuordnen. Thiacloprid schadet Wasserlebewesen und Nützlingen.
Als sogenannte „Ersatz-Neonicotinoide“ wurden in Deutschland jedoch die neue Bienengifte Sulfoxaflor, Flupyradifuron und Cyantraniliprol als Wirkstoffe einiger Pflanzenschutzmittel zugelassen. Chlorpyrifos aus der Gruppe der Thiophosphorsäureester steht im Verdacht, die Gehirnentwicklung bei Menschen, insbesondere bei Ungeborenen im Mutterleib, zu schädigen. Es gilt ein EU-Verbot seit Januar 2020.

Massive Kritik am Zulassungsverfahren

Obwohl humantoxische und umwelttoxische Pestizide nicht in die Umwelt gelangen und nicht zugelassen werden dürfen, ist beinahe jedes vierte Pflanzenschutzmittel mit einer Ausnahme-Verlängerung immer noch auf dem Markt erhältlich. Ausnahme-Verlängerungen werden erteilt, wenn die Überprüfung der Pestizide nicht rechtzeitig abgeschlossen wurde. Die EU-weit verbotenen Neonicitinoide können damit im Rahmen von Notfallzulassungen weiter eingesetzt werden. Der Handel mit illegalen, das heißt gefälschten oder nicht zugelassenen Pestiziden bringt hohen Profit bei wenig Risiko.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat seine Beurteilung von Glyphosat über viele Seiten aus dem Zulassungsantrag von Monsanto abgeschrieben. Dabei lieferte ein Betrugslabor die Industrie-Studien für die Glyphosat-Zulassung. 18 Ackergifte sind rechtswidrig zugelassen, darunter ein Mittel mit dem Wirkstoff Glyphosat und ein Mittel mit dem Wirkstoff Cyantraniliprol. Nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg vom Februar 2020 müssen die Mittel zugelassen bleiben.
An dieser Stelle wichtig zu erwähnen ist das Pestizid-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Oktober 2019. Bisher sieht die Zulassungspraxis in der EU so aus, dass auf EU-Ebene die einzelnen Wirkstoffe zugelassen werden, während die Mitgliedsstaaten für die Zulassung der damit hergestellten fertigen Pestizide zuständig sind. Damit die Mitgliedsstaaten bei einem fertigen Pestizid die Gesundheitsrisiken bewerten können, müssen auch für das fertige Produkt entsprechende Studien zur Kanzerogenität und Toxizität vorliegen, schreiben die Richter – auch wenn dies in der Verordnung nicht explizit vorgeschrieben sei. Denn das fertige Mittel dürfe nur zugelassen werden, „wenn nachgewiesen ist, dass es keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen hat“. Demgemäß müssten zahlreiche Pestizidzulassungen unverzüglich entzogen werden, auch für glyphosathaltige Spritzmittel.

Alternativen zur chemischen Keule

Die Natur liefert Gegenspieler für viele Schad- und Krankheitserreger unserer Kulturpflanzen: Nützlinge wie Marienkäfer, Florfliegen oder Schlupfwespen. Als biologische Pflanzenschutzmittel gelten beispielsweise Nematoden, Bakterien und Pilze. Sie liefern keine toxischen Rückstände. Bt-Protein wird im ökologischen Landbau gegen Fraßschädlinge (Raupen) eingesetzt. Es ist für Nichtinsekten wie auch den Menschen ungiftig.
Alternativen zum Pestizideinsatz sind mechanische und thermische Verfahren zur Beseitigung von „Unkraut“, der Einsatz von Nützlingen anstatt Insektiziden oder der Einsatz mehrjähriger Stauden mit reichem Blühangebot als Nahrung für Bienen. Ebenfalls wichtig: vorhandene Lebensräume erhalten, wiederherstellen, neue schaffen. Dadurch kann die Zahl der Bestäuber von Pflanzen, die für unsere Ernährungssicherung von Bedeutung sind, wieder steigen.
Nach dem erfolgreichem Volksbegehren in Bayern „Rettet die Bienen“ folgten gesetzmäßige Regelungen und damit ein deutlich besseres Naturschutzgesetz in Bayern. Die Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ startete am 15.11.2019 und wurde aufgrund der Corona-Situation um sechs Monate bis Ende März 2021 verlängert. Das Ziel ist europaweit eine Million Stimmen zu sammeln. Damit wird die EU-Kommission aufgefordert, den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide bis 2035 zu beenden und Bäuerinnen und Bauern beim Umstieg auf eine ökologische, bienenfreundliche Landwirtschaft zu unterstützen.

Pestizide
Gegen Schädlinge, störende Pflanzen und Organismen.
Der Begriff „Pestizide“ stammt vom englischen Wort „pests“ (Schädlinge). Dazu gehören viele unterschiedliche chemisch-­synthetische Stoffe und Stoffkombinationen, die giftig auf unerwünschte Organismen (Tiere oder Pflanzen) wirken. Man kann die Pestizide nach Einsatzzweck unterteilen:

  • in sogenannte „Pflanzenschutzmittel“ im
    Agrar-, Forst- und Gartenbereich
  • in Biozide zur Bekämpfung unerwünschter
    Lebewesen im Haushalt, etwa zur Schädlingsbekämpfung beispielsweise von Ratten, Insekten, als Holzschutzmittel oder als Desinfektionsmittel
  • Außerdem werden die Gifte nach „Ziel-Organismen“ eingeteilt. So gibt es etwa Insektizide (gegen Insekten), Herbizide (gegen Pflanzen), Fungizide (gegen Pilze) und weitere.

Die Autorin
Dr. Renate Pusch-Beier studierte Biochemie an der Uni Tübingen und promovierte zum Dr.rer.nat. in München. Es folgte ein Inlandsstipendiat bei der Max-­Planck-Gesellschaft. Danach verlegte sie ihren Wohnsitz ins Allgäu. Sie übernahm Lehrauf­träge an den FHs Kempten und Augsburg, sowie an der MTA- und Technikerschule in Kempten.
Frau Dr. Pusch-Beier hält Vorträge zu den Themen Gentechnologie und Nanotechnologie, über Pestizide und ihre Aus­wirkungen, über Schadstoffe in der Landwirtschaft, in Lebens-mitteln und Lebensmittelver­packungen, Plastik- und Mikroplastik in der Umwelt.

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