Corona hat vieles verändert – doch hat diese gravierende Krise auch das Potential, nachhaltigere Wirtschaftsstrukturen zu schaffen? Von Claudia Schwarzmaier.
An Appellen, Aufrufen und Empfehlungen fehlt es wahrlich nicht. Weltweit setzen sich immer mehr Bürger, Aktivisten, Unternehmer, Politiker bis hin zu internationalen Institutionen wie die OECD dafür ein, die vom Covid-19-Virus ausgelöste Krise als Gelegenheit für einen radikalen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft – hin zu mehr Nachhaltigkeit – zu nutzen. So haben beispielsweise knapp 200 Politiker, Unternehmenschefs, etwa von Unilever, E.ON, Danone, Coca Cola, Microsoft, Renault und Ikea, aber auch Gewerkschaftsvertreter und Nichtregierungsorganisationen einen „grünen Aufschwung“ nach der Corona-Krise gefordert. Ihre zentrale Forderung: Der Kampf gegen den Klimawandel müsse der zentrale Punkt der künftigen Wirtschaftsstrategie der EU sein. „Der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft, der Schutz der Artenvielfalt und die Umgestaltung der Agrar- und Lebensmittelindustrie bieten die Möglichkeit zum schnellen Aufbau von Jobs und Wachstum – und können dazu beitragen, Gesellschaften widerstandsfähiger zu machen.“ Auch die Internationale Energieagentur (IEA) fordert, dass die Welt ein grünes Konjunkturprogramm braucht. In ihrem Vorschlag, den die Politiker und Manager gemeinsam mit dem IWF erarbeitet haben, setzen sie rund um den Globus auf staatliche und private grüne Investitionsprojekte, die schnell verwirklicht werden können. Drei Bereiche stehen dabei im Vordergrund: der weltweite Ausbau von Solarenergie und Windkraft, die energetische Sanierung von Gebäuden und die Modernisierung der Stromnetze. Interessant ist auch das Ergebnis des Innovationsdialogs zwischen Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft. Ein Vorschlag: Die Weiterentwicklung eines breiten Ansatzes einer Kreislaufwirtschaft (Circular Economy).
Wachstumszwang
Es ist schwer vorhersehbar, was von den Vorschlägen und Empfehlungen tatsächlich umgesetzt wird und wie lange die schwere Krise dauern wird. In seinem Buch „Die Welt nach Corona“ entwirft der Zukunftsforscher Matthias Horx vier Zukunftsszenarien (siehe Randspalte). In der positivsten Variante geht er davon aus, dass es im Konsumbereich zu einer Wiederentdeckung heimischer Alternativen kommt und zu einem Gleichgewicht von lokalem und globalem Handel. Insgesamt sieht er eine Bewegung der Gesellschaft weg von Massenkonsum und Wegwerfmentalität hin zu einem gesunderen Wirtschaftssystem. Ein weiteres Kennzeichen ist, dass es weit mehr kleinteilige, genossenschaftlich organisierte Wertschöpfungsnetzwerke gibt.
Doch unabhängig davon, welches Szenario erreicht werden kann: Auch eine klimaneutrale Wirtschaft wird nur mit Wachstum möglich sein. Mittel- bis langfristig werden die massiven Probleme aber wohl nur gelöst werden können, wenn eine „grüne“ Wirtschaftsstruktur auch ohne Wachstum funktioniert. Ohne ein immer mehr, immer höher, immer weiter mit dem daraus resultierenden maßlosen Verbrauch von Ressourcen und Rohstoffen und den entsprechenden Umweltzerstörungen und sozialen Verwerfungen. Es ist schon erstaunlich, aber fast 50 Jahre nach dem Bericht des Clubs of Rome zu den Grenzen des Wachstums hat man immer noch keine ausreichende Vorstellung darüber, wie eine wachstumsunabhängige Form des Wirtschaftens aussehen könnte. Im Gegenteil: Nach Ansicht des renommierten Schweizer Ökonomen Dr. Mathias Binswanger ist in die Logik moderner Ökonomien ein „Wachstumszwang“ gleichsam eingeschrieben und – ob wir wollen oder nicht – werden wir zu Getriebenen dieser Wachstumsdynamik.
Rückkehr zum menschlichen Maß
Dem könnte man eine „Kultur des Genug“ gegenüberstellen, so wie es der Wachstumskritiker Prof. Dr. Niko Paech und der Dharma-Lehrer Manfred Folkers in ihrem Buch „All you need is less“ tun (siehe Randspalte) oder den Klassiker der Nachhaltigkeit „Small is beautiful“ von E.F. Schumacher. Der britische Ökonom plädierte bereits 1972 in seinem Weltbestseller für eine Rückkehr zum menschlichen Maß und kritisierte den Drang nach immer mehr. „Ein Maximum an Glück mit einem Minimum an Konsum zu erreichen“, das sollte das Ziel sein. Top aktuell ist seine Analyse zur Verletzlichkeit einer hypermobilen und globalisierten Welt: „Doch jetzt ist alles und jeder beweglich. Alle Strukturen sind bedroht, und alle Strukturen sind in einem Ausmaße verwundbar wie nie zuvor“, so schrieb er. Wie verletzlich unsere Strukturen sind, das hat die Corona-Krise wahrlich aufgezeigt. Sie hat uns aber auch bewusst gemacht, was möglich wird, wenn nicht nur der politische Wille da ist, sondern jeder Einzelne seinen Teil dazu beiträgt. In einem gesellschaftlichen Aufbruch sehen Patrick Rohde und Lia Polotzek vom BUND deshalb auch den entscheidenden Faktor, um die Herausforderungen von der Klimakrise bis zum Artensterben erfolgreich anzugehen. Ihre Vision – eine sozialökologische Gemeinwirtschaft, die ein gutes Leben für alle Menschen ermöglicht: jenseits der Gewinnorientierung. QC57F05
Buch-Tipps
All you need is less
Manfred Folkers und
Niko Paech
Eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht.
Nur mit einer »zufriedenen Genügsamkeit« werden sich die großen Krisen unserer Zeit lösen lassen, davon sind Niko Paech und Manfred Folkers überzeugt. Die beiden Experten gehen der Frage nach, welche Potenziale die beiden Denkrichtungen mitbringen, um unseren zerstörerischen Wachstumspfad zu verlassen.
oekom Verlag
ISBN-13: 978-3962380588
Preis: 20 Euro
Die Zukunft nach Corona
Matthias Horx
Wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert.
Der Zukunftsforscher Matthias Horx analysiert in seinem aktuellen Buch die Auswirkungen der Corona-Krise: Wie ändert sich die Gesellschaft? Wie reagieren Individuen, Staaten, Familien, Unternehmen auf die Herausforderung? Welche Rolle spielt die Angst vor der Zukunft? Und wie können wir sie in Zuversicht verwandeln? Geht es nach ein paar Monaten so weiter wie bisher? Oder erleben wir einen Kulturwandel, in dem alles seine Richtung ändert und eine völlig neue Zukunft entsteht? Horx entwirft vier Zukunftsszenarien. Eine enthält auch die Mut machende Perspektive einer neuen Wir-Kultur.
Econ Verlag
ISBN-13: 978-3430210423
Preis: 15 Euro
Bildnachweis: Titelbild, depositphotos.com | lightsource