Von September letzten Jahres bis vor Kurzem hatte ich die Gelegenheit, polnische Bauarbeiter in die Geheimnisse der deutschen Sprache einzuweihen. Bemerkenswert war es, dass der Sprachkurs von der Baufirma gebucht und auch finanziert wurde. Es ist mit Sicherheit nicht die Regel, dass eine Baufirma so viel für ihre ausländischen Mitarbeiter, die an letzter Stelle in der Hierarchie stehen, tut. Die Baustelle befindet sich im Europaviertel und der Unterricht fand in einem Container auf dem Baugelände statt. Den Versuch, „meinen Leuten“ den richtigen Gebrauch der Präpositionen sowie den Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ zu erklären, habe ich sehr schnell aufgeben müssen. Das war nicht ihr Ding, dafür fehlten ihnen die schulischen Voraussetzungen und sie waren auch nach zehn Stunden körperlicher Arbeit zu müde um sich mit der deutschen Grammatik zu beschäftigen. An Stelle des obligatorischen Schulbuches musste ich mir also etwas Neues einfallen lassen. Ich fragte sie nach ihren verschiedenen Tätigkeiten auf der Baustelle und erklärte ihnen die deutschen Fachbegriffe. An Stelle von „Schalung machen“, lernten sie, dass es richtigerweise „einschalen“ und „ausschalen“ heißen müsse. Sie erklärten mir die Werkzeuge, mit denen sie arbeiteten und ich schrieb ihnen den richtigen deutschen Ausdruck hierfür an die Tafel. Nach einer Weile erzählten sie auch viel Privates, von Ihren Familien, ihrem Leben in Polen, ihrem Leben im Wohncontainer oder ihrem Leben mit acht Kollegen in einer Dreizimmerwohnung. Ich erfuhr, dass sie jeden Sonntag in die polnische Kirche gingen und alle sechs Wochen eine Woche frei hatten und nachhause fuhren. Sie erzählten mir über Weihnachts-und Osterbräuche und ich lernte alles über das polnische Nationalgericht, dem Bigosch. Wir haben über Fußball, Politik und Religion geredet. Kasimir, der aus Tschenstochau kommt, fragte ich, was es mit der Schwarzen Madonna auf sich habe und als guter Katholik wusste er das natürlich und erklärte es mir. Dariusz bekam die Hausaufgabe, im Internet über seinen berühmten Namensvetter, dem Perserkönig Darius nachzuforschen. Von Bogdan lernte ich, dass die polnische Verfassung vom 3.5.1871 die älteste in Europa und damit älter als die französische ist. Als wir uns einmal über die Bibel unterhielten und nicht die Namen aller 12 Apostel wussten, bekam Waldemar die Aufgabe, diese zu „googeln“. Am Ende des Kurses kam für die Bauleitung sogar noch ein deutsch-polnisches „Wörterbuch“ für mit den wichtigsten Fachbegriffen heraus. Der Kurs hat uns allen viel Spaß gemacht. Wir haben viel gelernt und viel gelacht.
Von Helga Ranis