Gedanken zum Tot Helmut Schmidts

Helmut Schmidt ist tot und die Medien überboten sich in Traueranzeigen, Nachrufen und Erinnerungen. „Wer soll uns jetzt die Welt erklären?“, fragte die ZEIT, deren Herausgeber er war. Und quasi als Antwort brachte die FAZ ein Schmidt-Interview aus dem Jahr 2011 mit dem Titel: „Auch ein Gott kann uns nicht retten.“ Helmut Schmidt ist tot und, obwohl dieser Tod voraussehbar war, hinterlässt die Nachricht doch tiefe Betroffenheit quer durch Deutschland, nicht nur im offiziellen, politischen Deutschland, sondern auch bei den Kleinen, Unbekannten, den Bürgern und Bürgerinnen dieses Landes. „Er war so anders als die meisten Politiker und viele Deutsche verehrten ihn als ihr letztes Vorbild“, heißt es in der Sonderausgabe der Zeit vom 12.11. 2015. Helmut Schmidt war nicht nur anders als die meisten, sondern er war anders als fast alle. Schon sein mutiges, beherztes Vorgehen bei der Hamburger Flutkatastrophe im Jahre 1962 beeindruckten mich als damals Zehnjährige sehr. Für mich stand er noch vor Willy Brandt und John. F. Kennedy. Durch diese drei Namen wurde mein Interesse für die internationale Politik schon sehr früh geweckt, am meisten aber durch den Ökonomen Helmut Schmidt. Ich erinnere mich, dass ich in diesem Alter nicht von irgendwelchen Stars aus der Musikszene geschwärmt habe, sondern für Helmut Schmidt. Und aus dem frühen Schwärmen eines Teenies für ein Idol ist eine lebenslange Beschäftigung mit seiner Arbeit und seinen Ideen geworden.

Helmut Schmidt ist tot und mit ihm hat Deutschland nicht nur einen großen Staatsmann, sondern auch einen großen Denker verloren. Zu seinen Lieblingsdenkern gehörten Marc Aurel, Immanuel Kant, Karl Popper (mit dem er auch befreundet war) und Max Weber. Seine Politik bewegte sich zwischen den Selbstbetrachtungen des Stoikers Marc Aurel, dem kategorischen Imperativ Kants („Handle stets so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte!“), dem Popper´schen Ideal der „offenen Gesellschaft“ sowie Max Webers Begriff der „Politik als Beruf“. Kein Politiker hat den kategorischen Imperativ so verinnerlicht wie er und keinem war das stoische Ideal der „res publica“ so wichtig wie ihm. Das Staatswohl, die „res publica“, stand bei ihm vor dem Eigenwohl und er traf, vor dem Hintergrund der Ereignisse in Mogadischu, eine Vereinbarung mit seiner Frau Loki, dass im Falle einer Entführung, der (die) andere nicht ausgelöst werden solle, um den deutschen Staat nicht vor den Terroristen bloßzustellen, was ein Ende des Rechtsstaats bedeutet hätte. Einen größeren Dienst kann man im Ernstfall seinem Land nicht erweisen und das gilt für beide. Helmut Schmidt ist tot und mit ihm hat Deutschland „seinen größten Staatsmann verloren“, so ein Eintrag im Kondolenzbuch der Stadt Frankfurt. Diesem Eintrag ist nichts mehr hinzuzufügen.

Von Helga Ranis