Psychische Widerstandskraft, die Fähigkeit, schwierige Lebensphasen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen, lässt sich lebenslang trainieren. Mit welchen Strategien kann dies auch denen gelingen, die nicht von Haus aus gelassen sind?

„Es ist wie es ist und es wird sein, was wir daraus machen“, sagt ein Vater dreier Kinder, vor kurzem Witwer geworden und als Hotelier seines Familienunternehmens von der Corona-Krise unmittelbar betroffen. In diesem Satz steckt die Akzeptanz des Unabänderlichen und die Verantwortungsübernahme für sich und die Umwelt – das sind Schlüsselfaktoren für die Ausbildung von Resilienz. Der Begriff der Resilienz kommt ursprünglich aus der Werkstoffkunde und beschreibt – gemäß dem lateinischen Wort „resilere“,„zurückspringen“– die Materialien, die nach einer Verformung wieder in ihre ursprüngliche Form zurückfinden. Auf Menschen bezogen ist es nichts anderes als ein gutes psychisches Immunsystem, also die Fähigkeit, sich von Krisen nicht unterkriegen zu lassen, Hürden zu überwinden, an Herausforderungen zu wachsen, das Leben zu meistern, oft sogar gestärkt daraus hervorzugehen.

Halt in sich finden

Der Wissenschaftler Aaron Antonovsky hat diese Fähigkeit bei KZ-Überlebenden festgestellt und sich wissenschaftlich der Frage genähert, wie Menschen psychisch stabil bleiben. Drei Aspekte sind in seinem Konzept der Salutogenese von Bedeutung, um sich einen unverwundbaren, gesunden Kern zu bewahren: die Fähigkeit, die Zusammenhänge der eigenen Lebenserfahrungen in einem größeren Zusammenhang zu sehen, die Zuversicht und Überzeugung, das eigene Leben bewältigen und gestalten zu können sowie der Glaube an die Sinnhaftigkeit des Lebens und damit auch an den tieferen Sinn von Krisen und Schicksalsschlägen. Wem es gelingt, seine Welt durch diese drei Aspekte kohärent zusammenzuhalten, der erlebt sich in der Krise als handlungsfähig und blickt deshalb viel optimistischer als andere in die Zukunft.
Liegt die Zukunft also in der Hand von resilienten Charakteren? Forscher haben festgestellt, dass sich die individuelle Resilienz in den ersten 20 Lebensjahren entwickelt, aber ein lebenslanger Lernprozess ist, der auch trainiert werden kann.

Sich an Situationen anpassen

Es ist wie es ist und es wird sein, was wir daraus machen“. Resilienz-Training sucht – im Gegensatz zur Stressbewältigung – nicht nach dem, was krank macht, sondern schaut nach den Stärken und dem, was stark macht. Der Blick für die Möglichkeiten und Lösungsansätze weitet sich wie von selbst, wenn man die Opfer-Rolle verlässt und die Ressourcen erkennt, auf die man zurückgreifen kann. Dabei können – alternativ oder ergänzend zum privaten sozialen Umfeld – auch Experten helfen, egal ob bei gesundheitlichen, familiären, beruflichen oder finanziellen Herausforderungen. Dr. Thomas Villinger vom Netzwerk für Gesundheit beschreibt dies so: „Statt Angst und Verunsicherung zu schüren, bemühe ich mich, meine Patienten da abzuholen, wo sie stehen, sie ganzheitlich und konstruktiv zu unterstützen. Wer den Zweifel gegen die Zuversicht austauscht, spürt, dass er nicht ausgeliefert ist, sondern sehr viel in seiner eigenen Hand hat.“
Die Krise als Chance zu ergreifen, um dem eigenen Lebensziel auf die Spur zu kommen, die eigenen Ressourcen zu entdecken und sich selbst zu verwirklichen: Dabei unterstützen systemische Berater wie Michael Endler von Allyvator in Nürnberg – mit einer Kombination aus individuellem Coaching und stützendem Netzwerk von Menschen, die gemeinsam an ihren Zielen arbeiten möchten. Dabei geht es auch darum, das individuelle Potenzial zu erkennen und zu entfalten sowie Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit zu gewinnen: „Ich verfüge über wertvolle Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens mobilisieren kann. Und indem ich mich mit Engagement für meine Lebensaufgaben, Ziele und Projekte einsetze, erlebe ich Sinn und Erfüllung. Es lohnt sich also!“

Selbstwirksam werden

Vergleichbar mit einem Software-Update ist die so genannte Theta-Healing-Methode, bei der in einem meditativen Zustand negative Glaubenssätze wie Angst und Verbitterung zu positiven Ansätzen umgepolt werden. Als Mental Coach arbeitet die Starnberger Redakteurin Maja Byhahn mit dieser Methode: „Gerade in kraftzehrenden Lebensphasen unterstützt diese positive Umprogrammierung dabei, Trauma und Schock zu verarbeiten und im Bewusstsein wie auch im Unterbewusstsein resilienter zu werden.“ Optimismus – die Zuversicht also, dass Krisen überwindbar sind – , die Akzeptanz des Status Quo und Lösungsorientiertheit, die Besinnung auf die eigenen Stärken, Übernahme von Verantwortung, die Pflege des sozialen Umfelds und die Zukunftsplanung auch in vermeintlich ziellosen Zeiten – alle diese Aspekte sind die Säulen, auf denen psychische Widerstandskraft fußt und auf der wir in Krisen bauen können, um daraus gestärkt hervorzugehen.

Stabil und flexibel

Jede Tiefenkrise hinterlässt etwas, das in die Zukunft weist, schreibt der Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem Buch „Die Welt nach Corona“. Das gilt in gleichem Maße für persönliche genauso wie für weltumspannende Krisen, in denen uns Flexibilität und Optimismus guttun. In seinem Szenario der Adaption skizziert Horx den Idealfall, wie die Welt durch Corona gestärkt und stabiler aus der Krise heraustritt: bewusst, solidarisch, ganzheitlich denkend, resilient. Jeder einzelne von uns kann dazu beitragen, durch sein Handeln die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Oder wie der Hotelier zu Beginn dieses Beitrags es ausdrückt: „Es ist wie es ist und es wird sein, was wir daraus machen.“

Ruhig Blut

Erdung und Selbstfürsorge
Rituale der Kontemplation und Meditation helfen, um die Fokussierung auf das Wesentliche zu trainieren. Sie sind universell wirksam und werden in unterschiedlichen Formen in allen Kulturen und Religionen angewandt. Jeder Mensch muss für sich den passenden Weg finden: Dem einen gelingt die Ausrichtung auf das Wesentliche besser in der Natur, dem anderen in Klausur oder in Gemeinschaft. Wer in ruhigen Momenten diese Selbstfürsorge trainiert, kann in Krisenmomenten darauf zugreifen.

Schritt für Schritt

Tipp von Straßenkehrer Beppo
In Michael Endes „MOMO“ verrät Beppo seiner Freundin Momo, wie er die Angst vor langen Straßen überwindet: „Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, … an den nächsten Besenstrich. Dann macht es Freude; dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein … Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste. Das ist wichtig.“

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