Es gibt immer mehr Schulkinder, die zusätzliche Hilfe beim Lernen brauchen. Diese Hilfe finden sie zu Hause nicht genug, weil beide Eltern arbeiten (müssen), weil Mutter oder Vater allein erziehen, weil Schule und Bildung unwichtig erscheinen, weil sie sprachliche Probleme oder Lernschwächen haben oder weil es ihnen schwer fällt, sich zu konzentrieren und Fernsehen und Computerspiele sie zu sehr ablenken.
Gerade in der Grundschulzeit entscheidet es sich, wie sie später im Leben wenigstens für sich selbst sorgen oder sogar für die Gemeinschaft nützlich werden können.
Unser Staat scheint nicht in der Lage zu sein, so viel Betreuung und Förderung für unsere Kinder bereit stellen zu können, wie heutzutage offensichtlich nötig wäre. Z.B. fehlen für die Ganztagsklassen professionelle Betreuungskräfte: in der Freispielzeit mittags nach dem Unterricht will ein Teil der Kinder endlich sich austoben, ein Teil sich ganz still irgendwo ausruhen und ein Teil sinnvoll beschäftigt werden. Wie soll eine Person allein sie betreuen und fördern? Auch für die Inklusionsschüler (Behinderte, die in den normalen Unterricht integriert werden sollen) fehlen ausgebildete Förderkräfte.
Daher gründeten wir 2008 das Kooperationsprojekt „Gebraucht werden“ der Gemeinde Unterhaching und des Kreisjugendrings München: Seniorinnen und Senioren sollten sich ehrenamtlich und stundenweise in den beiden Grundschulen und der Mittelschule um diese Kinder während des Unterrichts oder auch am Nachmittag kümmern. Es dauerte nicht lange und über 70 Seniorinnen und Senioren aus der Gemeinde von 24.000 Einwohnern waren bereit, den Kindern zu helfen. Ist es nicht erfreulich, wie viel Gemeinsinn und Hilfsbereitschaft es bei uns gibt?
Die ‚Leseomas‘ und ‚Leseopas‘ üben mit den Kleinen Lesen, Schreiben und Rechnen, helfen bei den Hausaufgaben oder betreuen Spielgruppen der Ganztagsklassen in der Mittagspause. Sie helfen beim Computertraining und begleiten auf Schulausflügen. Für die 15-Jährigen an der Mittelschule sind ‚Lernbegleiter‘ in Deutsch, Englisch und Mathematik dringend gefragt.
Viele bauen enge Beziehungen auf, werden Oma oder Opa, betreuen „ihre“ Kinder bei Freizeitaktivitäten wie Schwimmen, Museumsbesuchen usw. So hilft eine geistig rüstige, gehbehinderte 83-Jährige einer 15-Jährigen Migrantin beim Lernen und diese besorgt stolz ihre Einkäufe.
Die Ehrenamtlichen werden von den Sozialpädagoginnen und Lehrkräften angefordert. Sie sind deren Helfer – keine „Bessermacher“. Die Lehrkräfte geben vor, was sie mit den Kindern machen sollen.
Die Ehrenamtlichen bestimmen den Umfang, die Dauer und die Termine ihres Engagements selbst, können also für Urlaub, Ausflüge und anderes unterbrechen. Alle zwei Monate treffen sie sich zum Erfahrungsaustausch. Da gibt es viel zu erzählen: manchmal von recht betrüblichen Situationen in den Elternhäusern, aber zum Glück viel öfter Erfreuliches über Fortschritte, Erfolge und Glück der Kinder.
Diese Kinder leiden – oft verborgen – sehr unter ihren Lernschwierigkeiten. Gerade die schwachen Kinder brauchen vor allem Zeit und Liebe: Gespräche, Zuhören, Späßchen machen, Loben. Die meisten Kinder haben ihre Omas und Opas weit weg, in Emden, Kasachstan, Äthiopien oder im Kosovo. Oft sind die Ehrenamtlichen die einzigen Erwachsenen, die ihnen wirklich zuhören und sie lieb gewonnen haben.
Anfangs fürchtete eine Pädagogin die Stigmatisierung der Kinder, die eine Leseoma brauchen. Aber die Kinder – waren stolz auf „ihre“ Leseoma und die anderen beneideten sie.
Ein schönes Beispiel für den Nutzen der Leseomas und -opas ist das Lesen lernen in der zweiten Klasse: Schreiben, Rechnen, Singen können alle 25 Kinder zugleich. Aber laut Lesen kann nur eines – und was machen die anderen inzwischen? Im Schnitt kommt also jedes Kind etwa 1 Minute pro Schulstunde dran. Wenn aber die Klasse auf 8 Leseomas und -opas aufgeteilt wird, ist jedes Kind praktisch dauernd dran – und hinterher erschöpft, aber glücklich, weil es ja gern zeigt, was es kann.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen erkennbare Leistungsverbesserungen bei den unterstützten Kindern. Aber wichtiger ist für alle die Freude und das glückliche Jubeln, wenn die Omas und Opas in der Schule auftauchen.
Beim Erfahrungsaustausch berichten sie: „Die Kinder halten mich jung.“ – „Mein Kind ist so anhänglich und dankbar.“ – „Meines ist so eine eifrige Lernerin geworden.“ – „Jetzt macht ihr das Lesen Spaß.“ – „So ein schönes Geschenk hat er mir gebastelt.“ Und sie sind stolz: „Mit meiner Hilfe schafft er den Abschluss.“ – „Ich tue etwas für benachteiligte Kinder und unsere Zukunft.“ – „Es ist so schön und befriedigend, Kindern zu helfen – sie sind das Wertvollste, das wir haben.“
Die Lehrkräfte und die Eltern sind ebenfalls dankbar für die Hilfe. Derzeit werden etwa 140 Stunden in der Woche geleistet. Und es gibt noch mehr Bedarf.
»Wenn Sie sich Glück und langes Leben wünschen, tun Sie etwas für andere. Große Studien haben gezeigt: Wer anderen hilft, lebt länger,
und wer Geld für andere ausgibt,
wird glücklicher.«
Hirnforscher Prof. Dr. Dr. Manfred