„Ich zerreiße mich nicht gern“: Als einen Akt der Emanzipation beschreibt nun die Wochenzeitung die Zeit die Motivation einer Mutter, lieber zu Hause bei ihren Kindern zu bleiben, als schnell wieder arbeiten zu gehen. Doch die Freiheit der Frauen, sich bewusst für Familienarbeit zu entscheiden, wird durch Gesellschaft und Politik immer mehr eingeengt, beobachten die Gründerinnen von „Kulturtat Familie“. Durch ihre Initiative wollen sie dem „Da-Sein“ für Kinder wieder zu mehr gesellschaftlicher Wertschätzung verhelfen.

Es war ein harmloser Satz, der die Sache ins Rollen brachte. Die Frage: „Und Du bist auch wegen der Kinder zu Hause geblieben?“, war auf einer Geburtstagsfeier der Auslöser für eine leidenschaftliche Diskussion über die Verstaatlichung der Kindheit und über das Gefühl, von einer Gesellschaft, der die Mütterlichkeit verloren geht, verkauft zu werden. Bis eine der Frauen plötzlich sagte: „Das darf man doch gar nicht laut sagen.“ Und eine andere Frau antwortete: „Im Gegenteil.“
An jenem Nachmittag im Jahr 2012 entstand die Idee, sich zusammen zu tun, um dem gemeinsamen Anliegen Aufmerksamkeit zu verschaffen. „Kulturtat Familie“ nannten die Frauen ihre Initiative. Von Anfang an dabei waren Sabine Mänken und Bettina Hellebrand. Nur wenig später stieß Gabriele Abel dazu. Zusammen hat das Gründerinnen-Team von „Kulturtat Familie“ elf Kinder und was sie eint, ist die Erkenntnis, wie wichtig „Da-Sein“ für die Entwicklung von Kindern ist. Obwohl die drei Frauen eine akademische Ausbildung und gute Berufschancen hatten, wollten sie ihren Kindern, als diese klein waren, den Raum für ihre individuelle Entwicklung geben. „Ich freue mich an der Vielfalt und Buntheit des Lebens, von der Individualität der Kinder bin ich fasziniert“, beschreibt beispielsweise Gabriele Abel ihre Motivation dafür. Denn sie hat die Erfahrung gemacht: So unterschiedlich wie die Kinder sind, so unterschiedlich sind auch ihre Bedürfnisse. Deshalb setzt sich die 49-Jährige für Freiheit in der Gestaltungsmöglichkeit des Familienlebens ein.

Es gibt kein positives Mutterbild mehr
Und diese Freiheit in der Gestaltungsmöglichkeit des Familienlebens wird nach Erfahrung der „Kulturtat“-Netzwerkerinnen immer mehr eingeengt. Nach ihrer Beobachtung machen es die heute gültigen gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Strukturen für Mütter immer schwerer, eine „freie Entscheidung zwischen Erwerbsarbeit und individueller Familienarbeit“ zu treffen. Die Frauen erkennen einen „Seiltanz aus Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung“, in dem sich manche Mütter gar nicht mehr trauen, nur Mutter sein zu wollen. „Es gibt kein positives Mutterbild mehr“, beobachtet die studierte Germanistin Bettina Hellebrand (51). „Was ich tue für die Kinder, diese Gestaltung von Innenraum, diese tägliche Selbstschulung, das sieht niemand“, so Hellebrand und sie wünscht sich, dass „das, was Mütter den Kindern alltäglich geben, wieder Wertschätzung erfahren soll.“ Nach ihrer Erfahrung trauen sich junge Mütter oft gar nicht mehr, auf ihre innere Stimme zu hören und mehr Zeit zu Hause mit ihren kleinen Kindern zu verbringen. Ein Beleg für diese Entwicklung ist der Niedergang von Krabbelgruppen: Diese privat organisierten Treffen von Müttern mit Babys, wie sie in den 1980er und 1990er Jahren zum sozialen Leben gehörten, gibt es in dieser Form kaum mehr. Der Ausbau von Kinderkrippen hingegen schreitet ständig voran und verstärkt die gesellschaftliche Erwartung an junge Frauen, möglichst schnell wieder in den Beruf einzusteigen.

Grundvoraussetzung für eine demokratische Gesellschaft
Dabei ist individuelle Kindererziehung nach Überzeugung von Sabine Mänken (51)eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft. „Demokratie ist ohne individuelle Lebenszusammenhänge und Wertevermittlung  nicht möglich“, ist die studierte Volkswirtin und praktizierende Biographie-Beraterin überzeugt. „Emanzipation wird da sehr einseitig diskutiert.“ Viele Frauen fürchten den sozialen Abstieg durch Kinder, wenn sie auf ihren Beruf verzichten. Denn: „Kinderkriegen gehört zu den Armutsrisiken in Deutschland“, sagt Sabine Mänken. Eines von vielen Beispielen dafür ist die Umverteilung innerhalb unseres Rentensystems, das diejenigen bestraft, die sich um das Aufziehen künftiger Beitragszahler kümmern und diejenigen belohnt, die ohne Erziehungszeiten genügend Geld in das System der Umlage-Finanzierung einzahlen können. „Volkswirtschaftliche Wertschöpfung findet aber auch durch individuelle Erziehungsarbeit statt. Ohne finanzielle Anerkennung dieses Beitrags zum Bruttosozialprodukt werden wirtschaftliche Zwänge weiterhin in vielen Fällen ausschlaggebend sein, die Familie der Erwerbstätigkeit unterzuordnen.“
Viel ist zu diesen Themen bereits geforscht und publiziert worden und so geht es den Frauen von „Kulturtat Familie“ weniger darum, die theoretische Diskussion zu beschreiben, sondern Einblicke in die alltäglichen Herausforderungen der Familienarbeit zu geben. Ihrer Aufforderung, persönliche Erfahrungsberichte zu schreiben, ist eine ganze Reihe von Frauen gefolgt und so ist der Sammelband „Die verkaufte Mutter“ mit 21 lebendigen, teils anrührenden, teils humorvollen, aber insgesamt nachdenklich stimmenden Erfahrungsberichten zustande gekommen. Dabei wollen die „Kulturtat“-Frauen keinesfalls eine bestimmte Form des Mutter-Seins zum Ideal stilisieren oder Empfehlungen für die Lebensgestaltung abgeben. Doch wollen die Frauen nicht länger Zuschauerinnen sein in einer Welt, in der der individuelle Lebensraum für Mütter und Kinder zunehmend eingeengt wird.

Kulturtat Familie: Die Initiative

Kulturtat Familie ist eine freie, politisch und religiös ungebundene Gruppe von Frauen, die sich aus innerer Überzeugung für Familienarbeit entschieden haben. „Familie“ verstehen sie dabei als eine frei gewählte Gemeinschaftsform, die in Verantwortung gegenüber den individuellen Entwicklungsbedürfnissen des Kindes Schutz und Bindung ermöglicht. Mit Blick auf die Kinder ist in den Frauen die Überzeugung entstanden, eine Arbeit zu tun, die uns erstmal niemand abnehmen kann: Da-sein! „Den Kleinsten ist das Recht auf einen Krippenplatz kein Anliegen“, bringen die Frauen ihre Erfahrungen und Beobachtungen auf den Punkt.
www.familie-ist-kulturtat.jimdo.com

Foto: René Antonoff

QC36L02

Buch-Tipp

VM_Cov_Internet_Einzel

Die verkaufte Mutter

21 Erfahrungsberichte zur Freiheit der modernen Frau
Herausgeberinnen:
Sabine Mänken, Bettina Hellebrand, Gabriele Abel
2015 | Quell Edition
ISBN 978-3-9815402-5-3
Preis: 14,90 Euro

Versandkostenfrei im Quell-Shop