Flieger machen weiße Streifen am Himmel – na und? Wir haben uns daran gewöhnt. Aber sie verändern auch die letzten, scheinbar wenig berührten Naturräume: Der blaue Himmel wird milchig, wenn die vielen Streifen verschwimmen und sich flächendeckend zum Himmelsgrau  verbinden. Die Folgen sind weitgehend unerforscht. Aber sie zeigen uns auch in den entlegensten Ecken: Die Technik hat die Macht über uns und unser Leben übernommen. Überall. Text: Dr. Georg Bayerle.

Der Vorgang ist schleichend und vollzieht sich doch unaufhaltsam in manchmal nur wenigen Stunden: Dann vor allem, wenn die höheren Luftschichten der Troposphäre besonders feucht und kalt sind. Die Kondensstreifen der Flugzeuge in rund 10 000 Meter Höhe lösen sich dann nicht mehr auf, sondern verbreitern sich zu hochnebelartigen Bändern. Bis der ganze Himmel bedeckt ist. An einem Oktobertag am Hochvogel, weit bekannter Berg und Wahrzeichen des Allgäus, dauerte der durch den Luftverkehr ausgelöste künstliche Wolkeneffekt bis zur Bildung einer geschlossenen Hochnebeldecke gerade einmal vier Stunden. Der morgens um sieben noch strahlende, tiefblaue und wolkenlose Herbsthimmel war von einer bleiernen Schicht verdeckt. Das Phänomen spielt in der Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle, wahrgenommen aber wird es, von Jahr zu Jahr stärker und mit immer größeren Auswirkungen.

Je mehr Menschen in die Ferien fliegen, desto betrübter wird der Himmel
Das zeigen Streifzüge durch die Alpen. Hannes Grüner, Bergführer im Villgratental in Osttirol, beobachtet die Kondensstreifen auf einer Skitour: „Wenn’s die auseinanderzieht, dann hast du ein richtig diffuses Licht, das stört einen Naturliebhaber schon.“ Marlies Schoch, ehemalige Kantonsrätin in St. Gallen bewirtschaftet eine Berghütte auf der Hundwiler Höhe, ein einmaliger Ausguck über Appenzell und Bodensee, sie steht an einem klaren Morgen vor ihrer Tür: „Heute ist ein wunderschöner Tag, aber je mehr Leute in die Ferien fliegen, desto betrübter wird der Himmel hier; und wird nicht mehr blau, den ganzen Tag nicht.“ Noch etwas kommt hinzu: Ein unangenehmer Weckruf für den Sennen Franz Kinne etwa, auf seiner in einem Naturschutzgebiet gelegenen Alm im Chiemgau: „In der Früh um Dreiviertel Acht, das ist der Lauteste. Der startet in Innsbruck und nach dem kannst du gehn.“ Auch der Fluglärm im Gebirge nimmt zu und manchmal ebbt das Grundrauschen den ganzen Tag nicht ab. Ausgerechnet in die unberührten Regionen, in abgelegene Täler dringen so die subtilen Emissionen der Zivilisation. In Berggegenden, oft als Nationalparke oder Naturparke besonders geschützt, jene letzten Residuen, in denen Luft und Wasser rein, die Natur intakt und der Himmel blau ist. Wo viele Stille suchen – und immer seltener finden.
Bei genaueren Nachforschungen zeigt sich einmal mehr, dass die Natur keine Lobby hat. Das für die deutschen Alpen zuständige bayerische Verkehrsministerium hat keins der Phänomene auf dem Radarschirm. In der obersten dafür zuständigen deutschen Behörde, dem Umweltbundesamt, gibt es weder zum flugbedingten Hochnebel noch dem Fluglärm im Gebirge Erkenntnisse. Die Troposphärenbedeckung wurde hier noch nie untersucht, der Fluglärm nur im Umfeld der Flughäfen, wo Anwohner direkt betroffen sind. Die schleichende Verschleierung des Himmels erscheint zu unscharf und die Erholungssuchenden sind keine Instanz, für die sich die Bundesbehörde bisher verantwortlich gefühlt hätte.

Die weltweit ersten Forschungen zur Troposhärenbedeckung
In den Tourismusbüros der bayerischen Alpenorte wird die subtile Form der Luftverschmutzung im Gebirge bewusst oder unbewusst ausgeblendet. Alle werben mit ihrer unverbrauchten, einzigartigen Bergnatur, die Werbebilder zeigen Gebirgskulissen vor ‚natürlich‘ schlierenfreiem Himmel. Aus dem Allgäu zum Beispiel lautet der Kommentar: „Es ist mir noch nicht zu Ohren gekommen, dass es als Problem wahrgenommen wird. Es ist die Frage, ob Wanderer das zuordnen, denn vorhanden ist es.“ Das kann man sagen: Neun Flugrouten verlaufen über das Allgäu. Allein die Kleinstadt Marktoberdorf verbucht 200 Überflüge am Tag.
Erst im Jahr 2011 hat der Atmosphärenphysiker Bernd Kärcher vom Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen bei München die weltweit ersten genauen Forschungen zur Troposphärenbedeckung vorgelegt. Die durch Flugzeuge verursachte künstliche Bewölkung kann über sehr beflogenen Regionen wie Europa oder Amerika 5 bis 10 Prozent der Jahresbewölkung ausmachen. Der Troposphärendeckel verhindert die Wärmeabstrahlung von der Erde und verstärkt mit dem Treibhauseffekt auch den vom Menschen gemachten Klimawandel. Die genauen Daten dazu müssen in den kommenden Jahren erst noch erbracht werden.  Bleiben Beobachtungen wie die von Ulrike Riezler, Gastwirtin im Kleinwalsertal, während sie auf den Hohen Ifen steigt: „Die Flieger haben so überhandgenommen, ein dauerndes Brummen und kein Mensch wehrt sich!“

Wir Menschen sind Täter und Opfer zugleich
Wir Menschen sind Täter und Opfer zugleich, sagt der Soziologe und Umweltrechtler Felix Ekardt von der Universität Rostock dazu: „Fast jeder bewegt sich, erzeugt Lärm und bekommt Lärm ab. Das ist etwas, womit sich gut erklären lässt, warum Menschen dem lieber ausweichen und sich etwas zurechtlegen, was den Konflikt leugnet.“ So verschleiern wir den Himmel und das ganze Problem in einem Atemzug. Es ist ein Beispiel dafür, wie unstimmig die Gesellschaft mit ihren Konflikten umgeht.
Das Schlussbild zum Thema spielt auf dem Jungfraujoch, 3 400 Meter hoch in den Berner Alpen. Unter den Hunderten Touristen aus aller Welt befindet sich die 23-jährige Lisa mit ihrer Mutter aus Nanjing, Millionenstadt im Osten Chinas. Was ihr am besten gefällt an diesem Platz hoch droben im nicht mehr ‚ewigen’ Eis? – „Der blaue Himmel“, sagt sie; in ihrer Heimatstadt ist es meistens so trüb, dass sie den Himmel nicht mehr sehen.

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Foto: Roland Tichy

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