Wohl kaum eine Himmelserscheinung hat eine so unglaubliche Faszination auf die Menschen ausgeübt wie die Polarlichter. Unsere Vorfahren glaubten einst, dass in diesem Licht die Seelen der Verstorbenen wieder sichtbar würden. Von Andreas Walker.

Als der Polarforscher Robert Scott das Polarlicht zum ersten Mal sah, sagte er: „Es ist unmöglich, Zeuge eines solchen Phänomens zu sein, ohne dabei Ehrfurcht zu empfinden. Es wendet sich sogleich an die Phantasie, weil es eine spirituelle Quelle zu haben scheint“. Scott war nicht der Einzige, dem dieses kalte Licht in langen Polarnächten einen ehrfurchtgebietenden Schauer über den Rücken jagte. Die Polarlichter wurden schon sehr früh von Seefahrern in hohen geografischen Breiten beschrieben. Den Bewohnern der nordischen Länder waren sie schon immer bekannt, allerdings lösten sie bei den Leuten die unterschiedlichsten Gefühle aus, da es keine natürliche Erklärung für ihr Erscheinen gab.
Die Eskimos glaubten, das Nordlicht habe den Ursprung im Spiel der ungeborenen Kinder oder es komme von den Fackeln der Toten, die den Lebenden bei der winterlichen Jagd helfen wollten. Einige Indianerstämme befürchteten, dass die Seelen der erschlagenen Feinde in diesen Lichterscheinungen wieder erscheinen würden, um sich zu rächen. Andere wiederum meinten, das Licht stamme vom Tanz der Tiergeister, insbesondere der Seehunde und der Belugas, der Weißwale. Der Volksglaube sah in diesen Lichtern auch einen sichtbaren Kampf der Götter. Häufig galten sie als Schreckenszeichen von kommendem Unheil, da man die leuchtenden Erscheinungen am Himmel als Phantasiegebilde wie Drachenfiguren oder sonstige unheilbringende Boten deutete. Es gab Menschen, die beim Erscheinen der Polarlichter in ihre schützende Behausung flohen, da sie Angst hatten, diese Lichter würden vom Himmel herabkommen und sie verbrennen.

Unzählige Legenden
Besonders faszinierend werden die Nordlichter in Sagen und Legenden aus Lappland dargestellt, wie in der folgenden Geschichte, die den schlichten Namen „Nordlicht“ trägt.
Ein unheimlicher alter Greis nimmt einen Jüngling in seiner Hütte gefangen, um seinen Körper gegen den des Jünglings auszutauschen. Er teilt dem jungen Mann mit, dass er schon 2000 Jahre alt sei und bereits 30 mal den menschlichen Körper gewechselt habe. Dieses Phänomen wurde ihm dadurch ermöglicht, weil er vor langer Zeit drei Strahlen eines Nordlichts in einer Flasche eingefangen hatte, die nach einer Polarlichterscheinung noch über dem Wasser getanzt hatten. Diese drei Strahlen entpuppten sich als drei Seelen verstorbener Menschen, welche den alten Mann baten, sie in der Flasche zu bewahren, da sie nicht mehr zum Polarlicht zurückkehren wollten. Denn dort oben waren alle edel und gut, sie aber hatten schon zu Lebzeiten auf der Erde gerne Böses getan und wollten dies auch weiterhin tun. Die Seelen versprachen dem Mann, ihm jeweils beim Austausch eines Menschenkörpers zu helfen und für diese kurze Zeit jeweils die Flasche zu verlassen. Der Jüngling betet in seiner größten Not zur verstorbenen Großmutter, die er sehr liebte und die auch beim Nordlicht weilt. Als der Greis die drei Nordlichtstrahlen aus der Flasche befreit, flammt plötzlich ein gewaltiger Schein über den Himmel. Ein riesiges Polarlicht erscheint am Himmel, trotz scheinender Mitternachtssonne, und holt die drei Seelen zurück – danach fällt der Greis tot zu Boden.
In dieser Legende kommt die Vorstellung der Toten als Nordlichter sehr schön zum Ausdruck. Ebenso wird klar, dass das Polarlicht immer da ist, auch wenn man es infolge des Sonnenlichtes nicht sehen kann.
Aus den Sagen und Legenden wird eindrücklich sichtbar, wie die Menschen der hohen Breiten dem Zyklus der Natur unterworfen sind. Licht und Dunkelheit sind dort viel extremer ausgeprägt als bei uns und die Natur folgt nicht in erster Linie dem Zyklus von Tag und Nacht, sondern einem jahreszeitlichen Rhythmus von der Zeit der Mitternachtssonne bis zur Polarnacht. Vor der Entdeckung der Elektrizität litten die Eskimos während der Polarnacht häufig unter tiefen Depressionen. Diese dunkle Winterzeit, Monate ohne Sonne, war für sie „die Zeit, in der man die Last des Lebens spürte“.
Die Erscheinung der Polarlichter ist eng mit der Sonnenaktivität verknüpft. In einem Zyklus von elf Jahren häufen sich die maximalen Werte der Sonnenflecken und damit die Polarlichter. Dabei treten magnetische Stürme auf, die den irdischen Funkverkehr spürbar beeinträchtigen.
Polarlichterscheinungen existieren auch auf anderen Planeten, die ein Magnetfeld besitzen. Die amerikanischen Voyager-Sonden konnten in den 80er-Jahren spektakuläre Bilder von Jupiter und Saturn zur Erde funken, die die Polarlichtringe um beide Pole deutlich zeigen.
Polarlichter treten normalerweise in höheren Breitengraden (Europa 60-75° und Kanada 50-65°) besonders intensiv und häufig auf. Wenn die Sonnenaktivität ihr Maximum erreicht hat, können Polarlichter jedoch auch in niedrigeren geografischen Breiten gesehen werden.
Am 30. Oktober und 20. November 2003 konnten deshalb infolge hoher Sonnenaktivität Polarlichter sogar in Mittel- und Südeuropa beobachtet werden.

Eine gigantische, himmlische Leuchtstoffröhre
Die Polarlichter sind ein sichtbares Zeichen der Wechselwirkung von Sonne, Erdmagnetfeld und der hohen Atmosphäre. Durch die Kernreaktionen in der Sonne wird mit ihrer Strahlung auch der sogenannte Sonnenwind ausgesendet. Dieser besteht aus Elektronen, Protonen und Heliumkernen, welche mit einer Geschwindigkeit von mehreren 100 Kilometern pro Sekunde in den Bereich des Erdmagnetfeldes rasen (langsame Teilchen 200 km/sec, schnelle Teilchen ca. 500 km/sec). Bei diesen Geschwindigkeiten dauert es ungefähr eine Woche, bis diese Teilchen die Erde erreichen.
Im Magnetfeld der Erde, das sich vom magnetischen Nordpol in Nordkanada zum magnetischen Südpol auf der Antarktis erstreckt, werden diese elektrisch geladenen Sonnenwindteilchen eingefangen und entlang den Feldlinien in Richtung der magnetischen Pole gelenkt. Schließlich rasen die Teilchen in Polnähe in die hohe Atmosphäre und bringen diese zum Leuchten – wie eine gigantische Leuchtstoffröhre. Die so entstehenden Lichterscheinungen ziehen sich als zwei Ringe um den Nord- und Südpol und erscheinen dem Beobachter als Polarlichter – als aurora borealis im Norden und aurora australis im Süden. Die meisten Polarlichter bilden sich in einer Höhe von 100 bis 120 Kilometern. Dort hat die Atmosphäre die nötige Dichte, um die Solarpartikel abzubremsen. Die gesamten Polarlichterscheinungen erstrecken sich jedoch bis in eine Höhe von 1000 Kilometern.

Fotos: Andreas Walker

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