So etwas gibt’s nur in New York“, staunte Hausmeister Jesus Rojas, während er seine Augen über das Hochhausdach am Northern Boulevard schweifen ließ. Nicht die fantastische Aussicht auf die Skyline von Manhattan war gemeint. Sondern die jungen Leute, die mit Feuereifer, Kompost und Schaufeln dabei waren, das Dach in einen Gemüsegarten zu verwandeln. Von Quell-Autorin Christine Mattauch.

Die Dachfarm, nur durch den East River getrennt von Midtown Manhattan, ist der bislang spektakulärste Erfolg einer Bewegung, die zehntausende Flachdächer von New York City zu Hochhausgärten umfunktionieren will. Rund 5000 Hektar Dachfläche besitzt die Stadt, und wenn man dort überall Gemüse anbauen würde, müsste New York kein Grünzeug mehr importieren, haben Experten ausgerechnet. Soweit die Theorie. Doch immerhin, die ersten Schritte sind getan.
„Brooklyn Grange“, Hof von Brooklyn, nennt sich das Projekt, das Hausmeister Rojas auf seinen Patrouillen überwacht. Der Name ist irreführend, denn das Haus steht im Stadtteil Queens. Er rührt daher, dass der Gründer, Ben Flanner, im Nachbarviertel Brooklyn lebt. Er wollte das Projekt dort auch starten, doch es ist gar nicht so einfach, Hauseigentümer zu finden, die ihr Dach ein paar Öko-Visionären zur Verfügung stellen. Deshalb griff Flanner zu, als ihm die Immobilienfirma Acumen Capital Partners das Dach des früheren Fabrikgebäudes in Queens anbot. Es umfasst stolze 4000 Quadratmeter und ist damit so groß wie ein Fußballfeld. Mit der ersten Fuhre Setzlinge waren Flanner und seine Helfer tagelang beschäftigt – es waren 9000 Stück.

Dachfarmen: Schwieriger Weg durch den Behördendschungel
Fast wäre das Projekt in letzter Minute gescheitert, denn die Baubehörde der Stadt New York verhängte kurzerhand einen Stopp über das Projekt. In ihrer Begeisterung hatten die Großstadtfarmer den Nachweis vergessen, dass ihr Vorhaben das Gebäude nicht zum Einsturz bringen kann. Eine berechtigte Sorge – allein die Erde wiegt 500 Tonnen. Doch ein Statiker gab grünes Licht, und nachdem die Granger ein Bußgeld von 5537 Dollar gezahlt hatten, dürften sie mit dem Anlegen der Beete beginnen. Das war Ende Mai.
Der 29jährige Flanner arbeitete früher als Marketingexperte bei der Online-Handelsfirma E-Trade. Eigentlich wäre er gern Farmer geworden, konnte sich aber nie vorstellen, auf dem Land zu leben. Als er von den luftigen Großstadt-Gärten hörte, war das für ihn die Lösung. Er schmiss seinen Bürojob. Mit Unterstützung der Firma Goode Green, die in Manhattan Dachgarten-Systeme herstellt, baute er im vergangenen Jahr zunächst eine Test-Farm auf einem Lagerhaus in Brooklyn, auf rund 550 Quadratmetern. Das Projekt war ein Erfolg. Es läuft nach wie vor und produziert neben Tomaten und Zwiebeln auch Dach-Honig, mit vier Bienenstöcken. Die Produkte werden auf Wochenmärkten verkauft und an Lokale in der Nachbarschaft geliefert.
Reich werden Flanner und seine Partner – darunter einige Restaurantbesitzer – mit den Dachgärten vorerst nicht. Die Projekte funktionieren zurzeit überhaupt nur, weil die Dächer nichts kosten, ein Großteil der Arbeit von enthusiastischen Freiwilligen geleistet wird und die Investition für die Geldgeber eher eine Liebhaberei ist als eine ernst gemeinte Kapitalanlage. Doch mit steigender Lernkurve und verbesserter Technik könnte sich das ändern. Zumal der eine oder andere Immobilienbesitzer zu Subventionen bereit sein könnte – immerhin senkt ein Dachgarten den Energiebedarf des Gebäudes und kann die Lebensdauer eines Flachdachs sogar erhöhen.

Luftig-grünes Ambiente für Yoga-Kurse
Während Flanner und seine Helfer die Pflanzen auf einer speziellen Kompostmischung ziehen, die besonders gut Regenwasser speichert, will ein anderes Projekt ganz ohne Erde auskommen. Viraj Puri, Gründer der Initiative Gotham Greens (Gotham ist ein Spitzname für New York), plant eine Dachfarm allein auf Hydrobasis. Er will die Pflanzen mit Regenwasser füttern, dem Nährstoffe beigefügt werden. Rund 30 Tonnen Gemüse im Jahr will Puri so produzieren und an die Bioladenkette Whole Foods liefern. Puri hat den Projektstart allerdings schon mehrfach verschieben müssen; mal gibt es technische Probleme, mal fehlen Genehmigungen. Im Spätsommer soll es nun endlich soweit sein, sagt er.
Dass die Technik prinzipiell funktioniert, haben ihre Macher schon vor Jahren bewiesen – auf einem Boot im Hudson, der so genannten Science Barge (Quell 4/2007). Fans haben die Idee aufgegriffen. So entstand zum Beispiel ein „Greenhouse Lab“ auf dem Dach einer Grundschule in der 93. Straße von Manhattan, in dem die Großstadtkinder praktische Biologie lernen, so wie früher im Schulgarten. Auch kommerzielle Immobilienentwickler sind dabei: So plant die Firma Blue Sea Developments auf einem achtstöckigen Wohnprojekt in der South Bronx ein Treibhaus, das den Gemüsebedarf von 450 Leuten deckt.
Bei den gartenvernarrten New Yorkern sind die Dachfarmen überaus populär. Auf Flanners Erstprojekt in Brooklyn werden inzwischen Yoga-Kurse veranstaltet und Vorträge über biologische Pflanzenzucht gehalten. Beim Zweitprojekt Brooklyn Grange nahm der Andrang von Journalisten kein Ende, selbst die New York Times schickte Reporter auf das Dach. Vorübergehend geben die Initiatoren überhaupt keine Interviews mehr: „Wir haben zuviel zu tun mit Pflanzen und Gießen.“ Die Fangemeinde erfährt durch Kurzbriefe im Internet, was es Neues gibt. Grußformel am Ende des Texts: „Love and Veggies“.

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Fotos von der Dachfarm