Allen Bedenken gegen CO2-Emissionen zum Trotz: Die USA nutzen ihre Kohlevorkommen mit brachialen Methoden. Quell-Autorin Christine Mattauch hat sich in den geschundenen Bergen West Virginias umgesehen.

Larry Gibson sieht nicht aus wie ein Mann, der als Held geboren ist: etwa 1,60 Meter groß, strubbelige weiße Haare, Brille, ein Bäuchlein. Er ist frühpensioniert, nachdem er viele Jahre als Fabrikarbeiter am Band gestanden hat. „Ich bin nicht sehr gebildet“, sagt er. Doch Larry kann kämpfen. Er kämpft um seine Berge.
Larry Gibson lebt in den USA, im Bundesstaat West Virginia. Einer der ärmsten Staaten in Amerika, aber reich an Natur – scheinbar unendlich dehnen sich Berge und Wälder. West Virginia hat noch einen zweiten Schatz: Steinkohle. Sie lagert nicht nur unter Tage, sondern auch in den Berggipfeln. Wer die Kohle abbaut, zerstört den Berg.

„Mountaintop Mining“: effizient, aber brutal:
Genau das passiert in West Virginia hundertfach. Die Methode heißt „Mountaintop Mining“ und ist effizient, aber brutal: Die Bergkuppe wird erst gerodet, dann gesprengt, bis das Flöz freiliegt und abgebaut werden kann. Den „Abfall“ – Baumstämme, Fels und Erde – kippen die Kohlearbeiter einfach ins nächste Tal. Die Dimensionen dieses Raubbaus an der Natur sind schwer vorstellbar. Bis 2012, so eine Studie der US-Umweltbehörde EPA, werden in den Appalachen rund 5700 Quadratkilometer durch Mountaintop Mining zerstört sein, eine Fläche fast hundertmal so groß wie Manhattan. Viele Abbaugebiete haben die Dimension von Großflughäfen. Von oben sieht es so aus, als habe ein zorniger Gott mit einem Messer in dem grünen Gebirge West Virginias herumgeschlitzt. Wo normalerweise bewaldete Bergspitzen zum Himmel ragen, sieht man grauschwarze platte Einöden, auf denen Bagger herumschaufeln und Lastwagen ihre Runden drehen

Familienbesitz seit 200 Jahren
Larry Gibsons Anwesen ist von solchen Wüsten eingerahmt. Der 61jährige lebt in den Kayford Mountains, etwa eine Autostunde entfernt von West Virginias Hauptstadt Charleston. Er ist der einzige Anwohner im Umkreis von einem Dutzend Kilometer. Früher, sagt er, war sein Grundstück der tiefste Punkt in der Umgebung. Jetzt ist es der höchste. „Jedes Mal, wenn sie sprengen, ist mir, als sprengten sie ein Teil von mir.“
Das Land, auf dem seine Holzhütte steht, gehört seiner Familie seit rund 200 Jahren. Bis in die 50er Jahre hinein schlugen sich seine Vorfahren dort mit Landund Holzwirtschaft durch. Dann verließen die Jungen nach und nach den Berg, auch Larry. Er ging nach Ohio und arbeitete bei General Motors. Als er nach fast 30 Jahren in seine Heimat zurückkam, erschrak er: „Häuser waren zerstört, Straßen verändert, Berge   verschwunden. Es war, als kehrte ich in ein unbekanntes Land zurück.“
Gibson war einer der Ersten, die es wagten, sich offen gegen die mächtige Kohleindustrie zu stellen. Er lehnte Angebote von Kohlefirmen ab, das Familienerbe zu verkaufen und sprach in Bürgerzentren, Schulen und Rathäusern über Mountaintop Mining und seine Folgen. Deshalb hat ihn der amerikanische Fernsehsender CNN in seiner Reihe „Helden“ porträtiert und an den Wänden seiner Hütte hängen Dankesschreiben, Zeitungsartikel und Plaketten. Es ist nicht zuletzt Gibson zu verdanken, dass seit den 90er Jahren immer mehr Umweltgruppen Front gegen den Kohleabbau machen. Auch Prominente unterstützen die Gegen-
bewegung inzwischen, zum Beispiel Robert F. Kennedy jr., ein Neffe des ermordeten US-Präsidenten.
Die Umweltschützer versuchen nachzuweisen, dass Mountaintop Mining so große ökologische Schäden verursacht, dass viele Vorhaben gar nicht genehmigt werden dürften. Allein in West Virginia sind bisher schon rund 1300 Quadratkilometer Wald vernichtet worden, schätzt die Umweltorganisation OVEC. Der weggesprengte „Abfall“ hat Flussläufe von insgesamt mehr als 1200 Kilometern unter sich begraben. Während der Kohlegewinnung fällt giftiger Schlamm an, den die Firmen in Rückhaltebecken lagern, aber viele Anwohner befürchten, dass die Schwermetalle und Chemikalien trotzdem ins Grundwasser gelangen. Und
selbst wenn – was nicht überall der Fall ist – nach Ende des Abbaus eine Renaturierung erfolgt, wirkt die Landschaft künstlich.
Keiner weiß genau, ob die gegenwärtige Abbaupraxis zulässig ist. Zum Beispiel ist es eigentlich verboten, Tagebau in Gebieten zu betreiben, die 30 Meter oder näher an einem Gewässer liegen. Ausnahme: Der Antragsteller weist nach, dass Wasserqualität und Gewässerumfang nicht nachteilig beeinflusst werden.
Das ist unmöglich, sagen Umweltschützer – und die Kohleindustrie gibt ihnen recht: Eben weil es unmöglich sei, habe der Gesetzgeber die Formulierung von vornherein nur auf Schäden bezogen, die außerhalb des Abbaugebiets liegen. Der Streit ist bis heute ungeklärt. Auch Gerichte haben unterschiedlich geurteilt.

Tausende von Einsprüchen
Vergangenen Sommer hat die amerikanische Bergbaubehörde auf Druck der Kohleindustrie einen Vorschlag für eine neue Verordnung vorgelegt. Sie soll angeblich Rechtssicherheit herstellen, würde aber dazu führen, dass das Mountaintop Mining weitergeht. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit war groß; Tausende von Einsprüchen gingen ein. Derzeit rechnet keiner mehr damit, dass die Verordnung verabschiedet wird – ein Sieg für die Umweltorganisationen. Ohnehin sieht es so aus, als arbeite die Zeit für die Naturfreunde. In West
Virginia hat der Abgeordnete Jon Blair Hunter Anfang Februar einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es verbietet, Täler mit Schutt und Steinen vollzukippen. Wenn die Kohleunternehmen diesen „Abfall“ ordnungsgemäß entsorgen müssten, würde Mountaintop Mining womöglich so teuer, dass sich der Abbau nicht mehr lohnt. In der US-Hauptstadt Washington gibt es eine informelle Koalition aus Demokraten und Republikanern, die Mountaintop Mining in der gegenwärtigen Form ganz verbieten wollen. Sie warten nur darauf, dass ein neuer Präsident ins Weiße Haus einzieht. Für Manches käme eine Neuregelung allerdings zu spät. Die Kohlefirma Magnum, die um Larry Gibson herum die Berge abbaut, ist vor einiger Zeit auf einen alten Friedhof gestoßen, auf dem Vorfahren von Larry Gibson liegen. Gibson kämpft jetzt darum, die Gräber verlagern zu dürfen. „Es ist ihr Land, aber es sind meine Vorfahren. Da können sie doch nicht einfach mit ihren Bulldozern anrücken!“ Die Hälfte des Friedhofs jedoch ist bereits zerstört.

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