Auch heute noch liegt auf Moorlandschaften ein besonderer Zauber. Sie wirken magisch und rätselhaft. In unserer Reportage erfahren Sie, dass sie auch einen wertvollen medizinischen Rohstoff bergen, der Schutz und Wärme schenkt. Von Elisabeth Menzel.

Dichter Nebel hängt an diesem Novembermorgen über der schmalen, von Birken gesäumten Straße. Nur schemenhaft lassen sich links und rechts vereinzelt rote Häuser wahrnehmen. Der Klinker-Baustil prägt die Region um Bremen. Nördlich der Hansestadt befindet sich unser Ziel: eine der größten zusammenhängenden Moorlandschaften Nordwestdeutschlands. Im Herzen des Hochmoores wollen wir der Wala Heilmittel GmbH beim Torfstechen über die Schulter schauen. Der gewonnene Rohstoff fließt später in die Arzneimittel und in die Kosmetik des Unternehmens ein. Klingt verrückt? Vielleicht im ersten Moment. Doch der Torf hat besondere Eigenschaften, den die Wala schon seit Jahrzehnten nutzt.
Unterstützung erhalten Walter Janetschek und das Team der Wala Herstellung von einem ortsansässigen Landwirt. Auf holprigen Pfaden folgen wir dem Bauern und seinem Traktor ins tiefe Dickicht. Der Dunst trübt immer noch die Sicht. Eine einsame Kuh beäugt uns misstrauisch. Vermutlich kommen selten so viele Menschen auf einmal an ihrer abgelegenen Weide vorbei. Beim Anblick der Landschaft denkt man unwillkürlich an Annette von Droste-Hülshoff und ihr Gedicht vom Knaben im Moor: „O schaurig ist’s übers Moor zu gehn, wenn es wimmelt vom Heiderauche, sich wie Phantome die Dünste drehn und die Ranke häkelt am Strauche.“
Jahrhundertelang war die Gegend rund um das Hochmoor von hoher Luftfeuchtigkeit und starken Niederschlägen geprägt. Es herrschte ein kühles und feuchtes Klima. Vor allem in der oberen Schicht staute der Boden Wasser. Anstatt sich zu zersetzen, verwandelten sich abgestorbene Pflanzenteile aufgrund von Sauerstoffmangel und einem hohen Säuregrad im ständig feuchten Substrat in Torf – ein Prozess, der von Abgeschlossenheit und Stagnation zeugt. Das Moor wuchs zwar in dieser Zeit stetig, aber sehr langsam – etwa einen Millimeter pro Jahr. Schließlich dehnte es sich sogar über das Niveau des Grundwasserspiegels hinaus aus. Daher der Name „Hochmoor“.
Die Torfstichstelle sieht zunächst unspektakulär aus: ein Schlammloch, gesäumt von jungen Birken und Kiefern, Heidekraut und Pilzen. Raureif rieselt uns ins Haar und zerbirst mit einem feinen Knacken auf den Schultern. Zwischen den Zweigen glitzern Spinnennetze im trüben Morgenlicht. Es ist eiskalt. Rund zwei Meter tief müssen die Männer graben. Der Schweiß steht ihnen auf der Stirn – trotz der Kälte. „Gut, dass es zum Frühstück Eier mit Speck gab“, scherzt Walter Janetschek. Stich für Stich arbeitet sich der Spaten mit schmatzenden Geräuschen in den Boden. Die Erde ist schwer und feucht, speckig und schwarz. Ein feiner säuerlicher Geruch steigt von der Stichstelle empor. Wir hören nur den angestrengten Atem der Kollegen, die ohne Unterlass den Spaten schwingen. Ansonsten herrscht dumpfe Stille. Der Nebel hat die Welt ringsum verschluckt.

39E01-5MoorDer Landwirt steht schon mannstief in der Grube. „So langsam wird der Boden heller“, erklärt er mit fachkundigem Blick. Es ist die sogenannte Klippschicht, die wir benötigen. Sie ist hellbraun und faserig, durchsetzt von konservierten Holz- und Pflanzenteilen. Walter Janetschek hebt sechs Edelstahltonnen vom Traktoranhänger. Noch sind sie leicht. Doch sobald der Torf eingefüllt ist, wiegt jede von ihnen rund 70 Kilogramm. Zwei große Stahlschienen unter den Rädern des Hängers bewahren uns davor, mit der gewichtigen Fracht womöglich im Moor stecken zu bleiben.
Nadia Bünger aus der „Entwicklung Arzneimittel“ der Wala betrachtet die lebhafte Szenerie mit gemischten Gefühlen: „Normalerweise nehmen wir nicht so viele Menschen mit zum Torfstechen“, erklärt sie. In der Regel sind nur sie selbst und Walter Janetschek dabei. Denn die Ruhe im Moor und eine respektvolle Haltung gegenüber der Natur sind der Wala bei der Gewinnung des wertvollen Rohstoffes sehr wichtig.
Um Ruhe geht es später auch in der therapeutischen Nutzung des Moorauszuges – aber auch um Wärmehülle, Schutz und Abgrenzung. Um den Extrakt herzustellen, setzen die Wala Mitarbeiter den gewonnenen Torf mit gereinigtem Wasser an und behandeln ihn lichtrhythmisch. Das bedeutet, sie bringen den Ansatz jeweils zu den Zeiten des Sonnenaufgangs und des Sonnenuntergangs ans Licht und rühren ihn um. Zunächst entsteht dabei eine Flüssigkeit, die an dunkle Milch erinnert. Ihr Geruch ist neutral und sie bleibt über Jahre stabil. Nach sieben Tagen wird der Ansatz abgepresst und mit Auszügen aus Rosskastanie und Ackerschachtelhalm weiterverarbeitet. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise – je nachdem, ob der Auszug in Präparate für die innere oder die äußere Anwendung einfließen soll.
Und so verwandelt sich der leblose Torf aus dem kühlen, feuchten und abgeschlossenen Moor in eine lebendige, medizinisch wirksame Substanz. Sie kann unter anderem die Leberfunktion stärken, Flüssigkeitsprozesse beleben – auch im venösen System –, die Nierentätigkeit anregen und ausscheidungsfördernd wirken. Sie schafft es aber auch, Schmerzen zu lindern, eine wohltuende Wärmehülle zu bilden und wetterfühlige Menschen, die häufig zu sehr im „Außen“ sind, abzuschirmen und zu schützen.

39E01-6MoorBevor wir uns auf den Rückweg machen können, hat der Mikrobiologe Simon Sauer von der Wala Grundlagenforschung noch etwas vor: Mit einem Spatel in der Hand springt er in die Grube hinunter und nimmt Bodenproben, die er äußerst vorsichtig verpackt und sorgfältig beschriftet.
„Das Moor hat nicht nur viele Pflanzenteile, sondern auch die Pollen der damaligen Vegetation konserviert“, erklärt Simon Sauer. „Anhand derer wollen wir nun das Alter der jeweiligen Bodenschichten bestimmen.“ Seine erste Schätzung? „Zwischen 3 000 und 5 000 Jahren“, mutmaßt der Experte lächelnd. „Am Ende werden wir noch besser verstehen, aus welcher Zeit der Boden stammt und welche Vegetationen hier zu Torf geworden sind.“

 

Fotos: WALA Heilmittel GmbH | Jigal Fichtner
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