Blutproben, abgelaufene Medikamente, Altöl – Sondermüll ist ein Problem. Wie lösen wir es nachhaltig? Quell-Reporterin Christine Mattauch besuchte Europas größte Entsorgungsanlage. 

Am Anfang dieser Geschichte steht ein Vorurteil – vielleicht. Sondermüll, das ist doch Umweltverschmutzung der schlimmsten Art. Giftfässer im Landschaftsschutzgebiet, krebserregende Stoffe in Baumaterial, Pestizid-Verschickung nach Rumänien. Geht es auch anders? In Baar-Ebenhausen, einer idyllischen Gemeinde 70 Kilometer nördlich von München, können sie die Frage beantworten. Hier steht, auf einem 17 Hektar großen Gelände, die größte Sondermüll-Verbrennungsanlage Europas: eine gewaltige Maschinerie mit Tanks und Öfen und Leitungen, überragt von einem rot-weiß gestrichenen Schornstein. Wer vorbei fährt, wird das trotzdem kaum wahrnehmen. Da sieht man einen begrünten Parkplatz, viele Bäume, Zweckbauten im Betonstil der 1970er Jahre.„Die gsb versteht Sonderabfall-Entsorgung als aktiven Umweltschutz“, heißt es in der Einladung des Bayerischen Journalistenverbands, für den die Anlage ihre Tore öffnet. Es ist ein seltener Blick hinter die Kulissen, denn für die Öffentlichkeit ist das Gelände normalerweise tabu – viel zu gefährlich sind Chemikalien und Abfallstoffe, die in großen blauen Fässern darauf warten, entsorgt zu werden. Das Gelände ist peinlich sauber. Einer der Journalisten will wissen, warum es nicht stinkt. „Wir entsorgen hier ja keinen Hausmüll“, antwortet ein Mitarbeiter im
Blaumann amüsiert. Entsorgt: Die Mitarbeiter benutzen das Wort gern und oft, vermutlich, weil es positiv klingt. Überhaupt sind die, mit denen wir sprechen, von ihrer Arbeit so überzeugt, als
sei sie ein Dienst an der Allgemeinheit. Und in gewisser Weise stimmt das auch. Immerhin garantiert die gsb, dass problematischer Müll fachgerecht behandelt wird und eben nicht in Baumaterial oder auf wilden Kippen landet. Auch mit den bösen Sondermüllproduzenten ist es so eine Sache. Das wird klar, als Wolf Reuter spricht. Er ist der Betriebsleiter der gsb, trägt einen dunkelblauen Anzug, sehr kurz geschnittene graue Haare und spricht ein wenig getragen, fast wie ein Pfarrer. „Unsere Kunden sind zum Beispiel Apotheken, Universitätslabore, Kfz-Werkstätten, Handwerksbetriebe und Arztpraxen.“ Und die Industrie? Die natürlich auch. Mit anderen Worten:Wir alle tragen dazu bei, dass Problemmüll entsteht. Und das nicht zu knapp.

Trotz einer Verbrennungstemperatur
von bis zu 1.200°C im Inneren wärmt sich die unmittelbare Umgebung des Drehrohrofens
nur mäßig auf.

Eine Schwachstelle sind die Kunden

4.000 bis 5.000 Tonnen wöchentlich werden in Baar-Ebenhausen angeliefert. Lackschlamm, Klinikmüll, Lösemittel, Unkrautgifte, solche Sachen. Manche müssen vorbehandelt werden: Ölabfälle etwa werden mit Hilfe von Chemikalien in Wasser und Fette aufgespalten, erstere in eine Kläranlage geleitet, letztere verbrannt. Herzstück der Anlage sind die beiden Drehrohröfen, in denen die Temperatur bis auf 1.200 Grad hochgefahren wird. Eine etwa drei Meter große Baggerschaufel packt den Abfall vollautomatisch vom Müllbunker aufs Förderband. Flüssigkeiten und Dünnschlämme werden direkt in den Ofen gepumpt. Nach der Verbrennung sorgen Nachbehandlungen wie eine dreistufige Nasswäsche dafür, dass Schadstoffe gebunden werden – die Abluft soll so sauber wie möglich sein. Rund um die Uhr achten Mitarbeiter in einem großen Kontrollraum darauf, dass die Grenzwerte nicht überschritten werden. Wenn sie merken, dass ein Wert steigt, wird die Zusammensetzung des Mülls verändert oder mit Chemikalien gegengesteuert. Darauf ist Reuter stolz: 2014 wurde nur ein einziger Grenzwert überschritten. 2015 kam es fünf Mal vor – darunter drei Quecksilberalarme, weil eine Firma ihren Müll falsch deklariert hatte. Der Eindruck drängt sich auf: Die wahre Schwachstelle der Anlage sind die Kunden. Obwohl der Weg des Problem-Mülls lückenlos dokumentiert werden muss, komme es immer wieder vor, dass Fässer falsch beschriftet oder Inhalte vertauscht würden, sagen die gsb-Mitarbeiter. Deshalb gibt es intensive Kontrollen beim Eingang. Bei manchen Gebinden sehen die Mitarbeiter schon von außen, dass etwas nicht stimmt: zum Beispiel, wenn Fässer kugelrund aufgebläht sind. Dann hat während des Transports eine chemische Reaktion stattgefunden, und die Feuerwehr muss eingreifen. „Und dann holen wir die Polizei“, sagt Karl-Heinz Schneider, Chemischer Ingenieur und Leiter des Innendiensts. Denn der Abfallerzeuger hätte dafür sorgen müssen, dass das nicht passiert. Könnte das Abfallvolumen reduziert werden? „Wir beraten die Kunden“, versichert Schneider. Die beste Motivation zur Müllvermeidung jedoch sei der Preis:„Wir sind sehr, sehr teuer.“ Die Beseitigung einer Tonne Problemmüll könne 1.000 Euro und mehr kosten . Jedoch, Zweifel bleiben. Welches Unternehmen würde seine Kunden freiwillig davon überzeugen, ihm weniger Aufträge zu geben? Die Anteilseigner der gsb – der größte ist mit 79 Prozent der Freistaat Bayern, daneben
sind Kommunen und Privatunternehmen beteiligt –wollen Gewinne sehen. Und tatsächlich schreibt die gsb seit 2008 schwarze Zahlen. Frage an Wolf Reuter: Wie hoch ist das Renditeziel? „Alles über 20 Prozent ist gut!“ sagt der. Man weiß nicht, ob das eine gute Botschaft ist, weil der Staatshaushalt profitiert. Oder eine schlechte, weil mit dem hohen Preis nicht nur der Anreiz zur Müllvermeidung, sondern auch der zur illegalen Entsorgung steigt. Neben der Verbrennungsanlage betreibt die gsb in Bayern zwei Sondermüll-Deponien, in Gallenbach und Raindorf. Filterkuchen kommen dorthin, Schlacken und Aschen. Alle Standorte liegen im ländlichen Raum. Allerdings ziehen immer mehr Menschen in die Region. Nicht unproblematisch, denn je mehr Anwohner es gibt, desto mehr Menschen wären bei einem Störfall betroffen. Weshalb das Weidelgras und der Grünkohl immer wichtiger werden, den die gsb auf dem Gelände pflanzt: Sie werden alle vier bis acht Wochen auf Schadstoffe untersucht.

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