Sie haben eine gute Idee für ein Produkt, das noch nicht auf dem Markt ist? In den USA haben sich Dienstleister darauf spezialisiert, sie umzusetzen. Unsere New Yorker Korrespondentin Christine Mattauch hat einen von ihnen besucht.

Die Rezeptionistin trinkt Rotwein und auch sonst geht es an diesem Sommer-abend reichlich locker zu bei Quirky. In dem großen Saal gleich hinter dem Eingang sitzen dicht an dicht rund 150 Leute, die Stimmung ist aufgeheizt wie bei einer Talkshow. Einen Moderator gibt es auch, Andre Zdanow heißt er und gehört zum Gründungsteam der Firma. Doch statt Witze oder Studiogäste präsentiert er ein Produkt ganz besonderer Art: Erfindungen. Genauer: Ideen, die Erfindungen werden könnten. Wenn das Publikum sie für gut befindet.
Die erste Idee heute kommt von Aaron Hover aus North Carolina. Er hat sich einen digital vernetzten Sandsack ausgedacht, der via App programmiert werden kann und die Trainingserfolge misst. Moderator Andre, dessen muskulöse Oberarme intensives Krafttraining verraten, findet die Idee gut: „Ich könnte das verkaufen.“ Die Stimmung im Publikum ist ebenfalls positiv. Einer sieht bereits eine große Zukunft für das Produkt als serienmäßige Ausstattung von Fitness-Studios. Und schon kommt die nächste Produktidee.

Prototypen verbessern, Marktstudien anstellen, Vermarktung anleiern
Jeden Donnerstagabend geht das so bei dem Start-up, das im Westen von Manhattan sitzt, im In-Viertel Chelsea. Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, Neuheiten in die Ladenregale zu verhelfen. Die Ideen stammen von Privatleuten – besonders kreativen Bastlern oder Laien mit einem Geistesblitz. Die meisten Hobby-Erfinder hätten vor ein paar Jahren wohl nicht ernsthaft daran gedacht, sie tatsächlich umzusetzen. Wer hat schon Zeit, Lust und Know-how, sich mit so schwierigen Themen wie Produktionstechnik und Patentschutz zu beschäftigen?
Wer aber bei Quirky einen Platz in der erlauchten Erfindergalerie erhält, muss das alles gar nicht selber tun. Es gibt ja die Quirky-Community – Erfinder-Kollegen, die über Online-Foren bei der Weiterentwicklung des Produkts helfen. Ganz zu schweigen von den fest angestellten Tüftlern, Technikern, Anwälten und Kaufleuten von Quirky, die einen Prototyp verbessern, Marktstudien anstellen, sich um Herstellung und Vermarktung kümmern. Im Gegenzug tritt der Erfinder den Löwenanteil der Verkaufserlöse an die Firma ab, wenn das Produkt tatsächlich in die Läden kommt.
Die Chancen dafür sind, sagen wir, gemischt. „An jedem Donnerstagabend werden zehn bis zwölf Ideen vorgestellt und ungefähr zwei bis vier akzeptiert“, sagt Lauren Ball aus der Kommunikationsabteilung von Quirky. Weitere Entwürfe bleiben später auf der Strecke – zum Beispiel, weil sich die Produktion als technisch unmöglich erweist oder die potenzielle Nachfrage geringer ist als zunächst gedacht. Doch immerhin hat Quirky in den fünf Jahren seines Bestehens mehr als 150 Produkte auf den Markt gebracht. Der Umsatz, 2009 noch magere 62.000 Dollar, lag 2012 bereits bei 18 Millionen Dollar.
Das liegt an spektakulären Erfolgen wie der biegsamen Steckleiste, die sich Jake Zien hat einfallen lassen. Da war er 18, besuchte die High-School und ärgerte sich über die sperrigen Mehrfachsteckdosen unter seinem Schreibtisch. Aber er fürchtete, über den Tisch gezogen zu werden, wenn er mit seiner Idee bei einer großen Firma vorsprechen würde. Dann las er von Quirky. Heute, fünf Jahre später, gibt es „Pivot Power“ („Stromgelenk“) in nahezu jedem Büro- und Elektromarkt, und Jake Zien ist auf dem besten Weg, Millionär zu werden. Der Quirky-Gemeinde ist er noch heute dankbar. „Allein hätte ich das niemals geschafft“, sagt er.

Vom innovativen Eierkocher bis zur Flurampel
Amerika ist seit jeher in Innovation verliebt, und Quirky ist nicht das einzige Unternehmen, das Hobby-Erfindern hilft. Zu den Veteranen der Branche zählt Edison Nation aus Charlotte (North Carolina), gegründet 2005. Gegen eine Schutzgebühr von 25 Dollar prüft das Unternehmen, ob eine Idee Potenzial hat, und übernimmt gegebenenfalls die Entwicklung. Die Hausfrau Betsy Kaufman etwa reüssierte mit „Eggies“, einem innovativen Eierkocher; die Eltern Melinda und Brad Shepard mit Gyro Bowl, einem Babynapf, der nicht umfallen kann. Eher als Ratgeber versteht sich die Big Idea Group aus Bedford (New Hampshire), die Unterstützung modulweise als Paket für je 500 Dollar anbietet: zum Beispiel wie man Lizenzen vergibt oder finanzstarke Partner findet.
Quirkys großes Plus ist die hoch engagierte Erfinder-Gemeinschaft. Dass die Fans bei der Stange bleiben, liegt nicht zuletzt an dem hohen Unterhaltungswert der Donnerstagabende, die in der Tech-Szene Kultstatus haben. Die Produktideen werden auf einem großen Bildschirm per Video vorgestellt. Ein von Quirky benannter „Advokat“ beantwortet kritische Fragen. Die kommen in der Regel reichlich, nicht nur vom Live-Publikum, sondern auch von Fans, die das Geschehen per Videoübertragung verfolgen und via Twitter kommentieren.
Außerdem gibt es da noch die Experten auf dem Podium, teils Stammgäste, teils Halbpromis aus der Tech-Szene. An diesem Abend ist beispielsweise ein junger Mann namens Chris aus der Führung von Instagram dabei.
Die einzigen, die nicht anwesend sind, sind die Erfinder selbst. Das ist gewollt und wohl auch ganz gut so – schon weil manche Ideen so bizarr sind, dass sie das Publikum zum Johlen bringen.
An diesem Abend erleidet dieses Schicksal „Spry-Light“, eine Art Flurampel, die vor Zusammenstößen bewahren soll. Der Erfinder hat ein so drolliges Video gedreht, dass die Zuschauer anfangen zu prusten und eine Diskussion erst nach einigen Minuten möglich ist. Der Advokat tut, was er kann, um das Produkt zu verteidigen: „Denkt an Krankenhäuser, wo die Ärzte auf dem Weg in den OP ständig um die Ecken preschen…“. Im Publikum bricht erneut Gelächter aus. Und Moderator Andre sagt den Satz, der das Todesurteil für jede Neuerung bedeutet: „Ich glaube, das braucht man nicht.“

Der Gründer

Die Idee zu Quirky hatte der gebürtige New Yorker Ben Kaufman, dessen Karriere selbst als Erfinder startete: Als Schüler entwickelte er eine iPhone-Hülle namens „mophie“. Drei Jahre später gründete er Quirky und betrieb das Start-up zunächst aus seiner Wohnung in Manhattan heraus. Kaufman, heute 27 Jahre, moderiert die Donnerstagabende häufig noch selbst.

Interesse von Konzernen
Hobby-Erfinder sind so erfolgreich, dass zunehmend auch große Unternehmen versuchen, den Einfallsreichtum der sogenannten „Crowd“ für ihre Zwecke zu nutzen. General Electric etwa ging vor kurzem offiziell eine Kooperation mit Quirky ein. Andere versuchen, online eigene Erfinder-Gemeinschaften aufzubauen. Starbucks zum Beispiel sammelte auf seiner Website „My Starbucks Idea“ in fünf Jahren über 150 000 Anregungen. Umgesetzt wurden allerdings lediglich 277 – und von denen dürften einige schon vorher firmenintern
existiert haben.

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Foto: Christine Mattauch

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