Etwa 100 Kilowattstunden an Wärme- und Bewegungsenergie erzeugt ein aktiver Mensch im Laufe des Jahres. Diese Energie verschwindet bisher meistens ungenutzt in die Umgebung. Das wird sich aber immer mehr ändern: Der Stockholmer Hauptbahnhof versorgt beispielsweise ein benachbartes Gebäude bereits mit menschlicher Körperenergie. Und in Toulouse wird der Strom für die Beleuchtung der Fußgängerzone vielleicht bald aus schwingenden Platten im Boden erzeugt. Von Dr. Jürgen Kern.

Der Bahnhof in Stockholm ist der größte Schwedens. Rund 400.000 Zug-Reisende und Besucher strömen täglich durch die Gebäude. Bei so vielen Menschen am Tag wird eine gigantische Menge Körperenergie freigesetzt: über die Haut als Infrarot-Strahlung – also Wärme – und über den Schweiß als Wasserdampf. Menschenmengen wie in Bahnhöfen bieten deshalb große Möglichkeiten für eine Energienutzung. Hier läuft eine Energiequelle neben der anderen und bei großer Anstrengung erzeugt ein einzelner Mensch bis zu einem Kilowatt. Die vorhandene Wärme zwingt die Betreiber den Bahnhof auch im Winter ständig zu kühlen. Und die Klimaanlage im Keller produziert dabei zusätzlich eine große Wärmemenge. Integrierte Wärmetauscher nutzen die gesamte Abwärme, um Wasser aufzuheizen. Dieses heiße Wasser wird in einem Bürogebäude auf der anderen Straßenseite zur Gebäudeheizung und Warmwassernutzung verwendet. Das Bürohaus gehört wie der Bahnhof der staatlichen Immobiliengesellschaft und die kostenlose menschliche Abwärme im Bahnhof senkt die Energiekosten des Bürogebäudes um ein Viertel.

„Trott-Èlec“ – oder der „elektrische Bürgersteig“
In der französischen Stadt Toulouse leuchten nachts fast 70.000 Straßenlampen. Die Hälfte der städtischen Stromrechnung im Jahr geht allein auf Kosten der Straßenbeleuchtung. Schon deshalb wird hier versucht, Strom und Geld zu sparen, ohne die Sicherheit einzuschränken. Das Projekt „Trott-Èlec“ der Technischen Universität soll in dem bedeutenden Technologiestandort einen Beitrag dazu leisten.
Jeder Schritt eines Menschen erzeugt nur wenig Energie. Damit könnte man eine herkömmliche Glühbirne für eine Sekunde aufflackern lassen. Nutzt man aber die Energie von vielen Schritten, könnte man vielleicht schon die Weihnachtsbeleuchtung der Fußgängerzone mit Strom versorgen. Die Idee dahinter stammt ursprünglich aus einer Diskothek, in deren Tanzfläche elektromechanische Platten eingebaut sind. Hier wird die Bewegungsenergie der Tanzenden als Energiequelle für Lichteffekte auf der Tanzfläche genutzt.
Die Forscher sind noch in der Entwicklungsphase. Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, die Bewegungsenergie der Menschen richtig zu „sammeln“. Kernstück bei Trott-Èlec ist ein im Boden versenkter Miniaturgenerator, der die Bewegungsenergie eines Schritts direkt in elektrische Energie umwandelt. Weil es zu wenige Prototypen gibt, wird im Moment pro Bodenplatte nur ein einziger Generator verbaut, der einen Speicherakku versorgt. Zukünftig sollen es fünf pro Platte sein. Einige Technologien hat man sich von der Luftfahrt abgeschaut, besonders an den Stellen wo hydraulische Systeme durch elektromechanische ersetzt wurden. Alle Bauteile haben sich auch bereits in der Industrie bewährt.
Das Trott-Èlec Programm produziert und verbraucht die Energie direkt vor Ort. Es ist vom Stromnetz abgekoppelt und das verhindert Streuverluste. Die Versuche, die menschliche Bewegungsenergie einzufangen, verlaufen vielversprechend.

Strom aus menschlichen Abwässern
Über fünf Millionen Menschen leben im Ruhrgebiet. Und die produzieren Abwässer mit Fäkalien, die beispielsweise im Emscherkanal, einem unterirdischen, parallel zum Fluss Emscher verlaufenden Abwasserkanal, enden. Dessen Abwasser wird von vier modernen Kläranlagen gereinigt. Diese bereiten das Wasser aber nicht nur auf, sondern sind auch Energielieferanten. Allein in den Bottroper Kläranlagen fließt das Abwasser von knapp 1,5 Mio. Menschen zusammen. Darin ist Bioabfall, der große Mengen an Energie enthält.
Was früher auf der Deponie landete, wird heute zur Energiegewinnung genutzt. In über 50 Meter hohen Faultürmen zersetzen Bakterien den menschlichen Bioabfall zu Klärgas. Das besteht zu 70 Prozent aus energiereichem Methan. Die Mikroben brauchen bis zu 25 Tage, um den Klärschlamm in Biogas umzuwandeln. Mit diesem Gas werden Blockheizkraftwerke betrieben. Ungefähr 7.000 durchschnittliche Haushalte können damit ein Jahr lang mit Strom versorgt werden.
Der „ausgefaulte“ Klärschlamm kann auch noch weiter genutzt werden. Zuerst wird feingemahlene Kohle beigemischt. Das erhöht den Brennwert und vereinfacht die Entwässerung. Mit speziellen Pressen wird der Klärschlamm dann zwei Stunden lang entwässert. Das so präparierte Produkt verfügt dann über einen hohen Energiegehalt und wird in zwei Heizöfen verbrannt. Der dabei entstehende Wasserdampf treibt eine Turbine an, die über drei Megawatt erzeugt.
Die „Energiequelle Mensch“ wird unsere globalen Versorgungsprobleme bestimmt nicht lösen. Wir verbrauchen viel mehr Energie, als wir durch noch so cleveres Energie-Ernten jemals gewinnen können. Am Ausbau von großen alternativen Energiekonzepten und am Energiesparen führt kein Weg vorbei. Doch punktuell und lokal können solche Projekte viel bewirken. Durch neue Technologien nutzen sie bislang kaum gebrauchte Ressourcen und schaffen ein Bewusstsein für die Energieproblematik der Welt.

Foto: Trott-Elec

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