Auf keine andere Art lässt sich die Umwelt so intensiv wahrnehmen als durch das Wandern. Die Langsamkeit der Bewegung macht Dinge erfahrbar, die sonst im Alltag oft untergehen: Gerüche, Wind und Wetter, die Beschaffenheit der Erde, unerwartete Entdeckungen. Kein Wunder, dass immer mehr Deutsche die Lust am Wandern entdecken. Martina Guthmann hat sich in der Angebots-Vielfalt umgesehen.

„Ist das nicht völlig sinnlos, stundenlang in die eine Richtung zu gehen, nur um danach wieder den Weg zum Ausgangspunkt zurückzulaufen – wofür gibt es außerdem Autos?“ Der Satz meines aufmüpfigen kleinen Bruders am Wochenendausflug vor fast 40 Jahren klingt mir noch heute im Ohr. So ändern sich die Zeiten: Schon lange zieht mein mittlerweile erwachsener Bruder seine Kraft aus Touren in der Natur, rational begründbar ist ihm dies nach wie vor nicht, der Samen für die Wanderlust ist aber sicher in seiner Kindheit gelegt.
Dass der Funke an der Wanderlust überspringt, dafür braucht es gar nicht viel.  Denn die Bilder, Sinneseindrücke und Naturerlebnisse, die wir als Erinnerungen von der Wanderschaft „mitnehmen“, sind von enormer Intensität. Walter Falger und Alois Angerer, beide sind Wanderguides und „Natur(ver-)führer“ bei Nature Watch Tirol, wissen aus Erfahrung: „Unsere hiesige Tier- und Pflanzenwelt beim Wandern zu Gesicht zu bekommen, ist ein so intensives Erlebnis, dass unsere Gäste einfach nur begeistert sind und richtig Feuer am Wanderurlaub fangen.“
Und wer im Urlaub Feuer gefangen hat an der Sportart, der will auch zuhause mehr davon. Karin Seliger vom Deutschen Volkssportverband (DVV) beispielsweise zieht es jedes Wochenende zu einem anderen Wanderziel im Umkreis ihres Heimatortes. Die vom DVV empfohlenen und organisierten Wochenendwanderungen sind meist auch gut mit der Bahn erreichbar. Die dahinterstehende Idee ist es, einen Anreiz zu schaffen, etwas Neues in seiner näheren Umgebung zu erwandern. Josef Gigl, Präsident des Deutschen Volkssportverbands: „Der innere Schweinehund lässt sich für Kinder mit Sammelpunkten des DVV sehr gut überwinden, für die Großen zählt einfach die Freude, wieder bekannte Gesichter zu treffen und gemeinsam in unbekanntem Terrain auf schönen Strecken zu wandern.“
Doch nicht jeder Wanderer ist Fan von solchen Gruppenveranstaltungen. „Meditation in Bewegung“ bringt Cornelia Weber ihre Erfahrungen mit dem Wandern auf den Punkt. Am liebsten ist die sportliche Laden-Leiterin von Hess Natur in Butzbach auf dem Jakobsweg in Spanien unterwegs – und das alleine. Denn dann kann sie ihren eigenen Geh-Rhythmus finden und gerät dadurch in einen Zustand, der sie aus dem Alltag herausführt und Dinge am Wegesrand viel intensiver wahrnehmen lässt. Dass der Jakobsweg mittlerweile viel frequentiert wird, ist für sie kein Hinderungsgrund, den alten Pilgerweg nach Santiago di Compostela immer wieder neu zu erfahren.
Eine Art „Reset-Taste“ für Körper, Geist und Seele lässt sich durch die immer populärer werdenden Fastenwanderungen drücken. Doch wer das Wandern über mehrere Tage mit einer Fastenkur kombinieren will, dem seien zertifizierte Anbieter ans Herz gelegt. Denn Fastenwandern kann durch seine Intensität den Körper schnell überfordern. Von Sylt bis Korsika, von Madeira bis zu den Kanaren: In Sachen Fastenwandern gibt es mittlerweile ein schier unüberschaubares Angebot. Als Veranstaltungsportal, das es sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Fastenwander-Idee zu verbreiten, fasst www.fasten-wander-zentrale.de die Arrangements von 60 Veranstaltern zusammen.
QC13E05_EdelweissDer Klassiker unter den Lang-Wanderstrecken ist ohne Zweifel die Überquerung der Alpen, die Ludwig Grassler in seinem Bestseller „Zu Fuß über die Alpen“ vor dreißig Jahren erstmals beschrieb. Seither haben Tausende von Wanderern den „Traumpfad von München nach Venedig“ begangen und es hat sich ein Wandertreff gebildet, der jedes Jahr am 8.8. auf dem Marienplatz – dem Aufbruchsort des Traumpfades – stattfindet. Zweck dieser eintägigen Zusammenkunft ist der Austausch von Weitwander-Erfahrungen; außerdem werden die Wanderer verabschiedet, die an diesem wettermäßig meist günstigen Termin der Isar entlang in Richtung Venedig starten. Viele der Wanderer sind auf eigene Faust unterwegs. Wer das Abenteuer organisierter angehen möchte, der kann die Alpenüberquerung auch beim DAV Summit Club buchen.
Wanderungen mit Zusatz-Service gibt es mittlerweile zuhauf. Die alpenweite Kooperation ALPINE PEARLS beispielsweise bietet Trekking-Routen an, bei denen das Gepäck transportiert wird. Hinter „Perlen-Trekking“ steckt die Idee, das Auto zu Hause zu lassen, sanft-mobil mit der Bahn beispielsweise nach Rosengarten-Latemar zu reisen und von dort aus die Dolomiten zu erwandern.
Wer ohne viel Ballast und ohne aufwendige Neuanschaffungen zum Wanderurlaub anreisen will, für den bietet sich das Angebot von BEST OF WANDERN an. In den Partner-Orten ist es möglich, Wanderausrüstung auf unkomplizierte Art und Weise zu leihen. Vergleichbar mit dem Skiservice steht in den Servicecentern vom Kinderwanderschuh bis hin zum Rucksack alles zur Verfügung.
Wie kommunikativ Wandern sein kann, berichtet Mithra Omidvar von Sentieri Italia: „Beim Wandern entspinnen sich auch zwischen meinen zusammengewürfelten Gruppenteilnehmern immer interessante und unvorhersehbar spannende Gespräche. Durch die ständig neuen Impulse aus der Landschaft und der Umgebung  bei dennoch vergleichsweise relativer Langsamkeit der Fortbewegung verliert sich jegliche Oberflächlichkeit – ob als Gast bei Einheimischen oder im Gespräch mit neu gewonnenen Wanderbekanntschaften.“
Gerade Themen, die im Nebeneinanderherleben des Alltags leicht mal unter den Tisch fallen, kommen bei der fließenden Wanderbewegung mit einem Mal im wahrsten Sinne in Fluss. Wanderungen entlang von Flüssen oder Bächen sind kommunikative Wegbereiter. Unter anderem deshalb haben wir auch das Tal der 100 Täler im Tessin als Familienwandertipp gewählt. Dort kommen Erwachsene und Kinder gleichermaßen auf ihre Kosten.
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