St. Walburgis in Seeon – wiederentdecktes Kleinod mit weiblichen Zügen. Von Johann Brunner.

Ein paar Kilometer nördlich des Chiemsees stößt man auf das Kloster Seeon. Ehemals eine Insel, liegt es inmitten des kleinen beschaulichen Seeoner Sees, der in die hügelige Voralpenlandschaft eingebettet ist. Gegen Norden ist der See geschützt vom „Weinberg“, der in früheren Zeiten den Messwein lieferte. Das zum Kloster gehörende Kirchlein St. Walburgis ist seit seiner Restaurierung zum Geheimtipp geworden. Denn der darin dargestellte Reichtum der Schöpfung und die Eleganz der heiligen Figuren macht es zum Symbol für die Sinnlichkeit des Glaubens.

Nothelferinnen mit geschnürten Miedern
Betritt man die kleine Kirche und schreitet unter dem Emporengewölbe ins Langhaus, so öffnet sich der Blick nach oben in ein elegant gegliedertes Gewölbe. Es stechen fünf runde Medaillons ins Auge: In der Mitte ein segnender Christus, der eingefasst wird von den Symbolen der vier Evangelisten.
Nach Osten öffnet sich der von vier Fenstern hell beleuchtete Chor im gotischen Stil. Je ein trompetenblasender Engel an der rechten und linken Chorbogenwand führen den Besucher in den Chor ein.

An der Südwand des Chores finden sich die vier heiligen Jungfrauen Barbara, Katharina, Margaretha und Ursula mit ihren Attributen Turm, Rad, Drache und Pfeil. Diese Nothelferinnen sind mit prunkvollen Gewändern mit geschnürten Miedern bekleidet. Unter den transparent wirkenden Blusen zeichnen sich betont die Brüste ab. Diese Kostümierung erinnert an die Mode Italiens in der Renaissance. Durch die Überlänge der Figuren und des malerischen Habitus muss man sie dem Manierismus zuordnen, einer Stilperiode zwischen Renaissance und Frühbarock.
Ein Joch der nördlichen Chorwand ist mit einer bemerkenswerten alttestamentarischen Szene bemalt: in der Sockelzone breiten zwei blondgelockte Engel einen reich ornamentierten Vorhang aus, darüber dehnt sich eine Landschaft, die sie sich atmosphärisch in einem Sfumato (in einer Nebelatmoshäre) verliert und sich sogleich bis zum Himmel mit schwerer Bewölkung öffnet. Im Wandscheitel zeichnen sich kaum mehr sichtbar Gottvater und zwei Engel ab, die aus einem ausgebreiteten Tuch die runden Mannabrote regnen lassen. Das Thema erstreckt sich über das ganze, figurenreiche Bild: die „Mannalese“, das Sammeln des Manna, das den Israeliten auf ihrer Flucht aus Ägypten das Überleben sichert. Im Vordergrund rechts fällt eine Gruppe Frauen auf, höfisch gekleidet mit betonten weiblichen Formen, die Körbe mit gesammeltem Manna auf dem Kopf tragen und sich nach herabfallenden Broten strecken. Links gegenüber sieht man zwei bärtige, langgestreckte Figuren gestenreich disputieren – es sind wohl Moses und sein Bruder Aaron. Nach oben wird die Perspektive durch sich verkleinernde Figuren betont, die ihrerseits in unterschiedlichen Posen auf der Jagd nach dem begehrten Manna sind. Eine dichte Ansammlung prunkvoller Zelte bildet einen Horizont, bevor sich grasgrüne Hügel in gebirgige Ferne verlieren.

Füllhörner mit Weinranken, Lilien und exotischen Vögeln
Die Gewölbezwickel sind an den Wandanschlüssen im Chor jeweils mit goldenen Füllhörnern bemalt, aus denen in eleganten Windungen Weinranken wachsen. Die jeweiligen Triebe enden in sonderbaren Blütenkapseln, die man wohl als Granatäpfel (Symbol der Fruchtbarkeit sowie der Kirche) interpretieren muss. Hier werden durch den freien Umgang mit botanischen Gegebenheiten geistliche Inhalte transportiert. Auch Lilienmotive werden verschwenderisch eingesetzt. Zwischen Weinranken und Blumen finden sich verschiedene sitzende oder im Abflug begriffene Vögel. Diese Vögel bestechen durch scharfe Beobachtungsgabe und virtuose malerische Wiedergabe. Die Artenpalette reicht von heimischen Vögeln wie Schnepfe, Schwalbe, Meise, Wiedehopf bis zu Eulenvögeln und sogar Papageien. Der ursprüngliche Eindruck dieser Raumfassung, die nach einem großen Klosterbrand im Jahre 1561 in kurzer Zeit entstanden ist, muss überwältigend gewesen sein. Sämtliche Motive waren von intensiver Farbigkeit, Ocker und Rottöne wurden noch übertroffen durch verschwenderischen Einsatz des kostbaren, leuchtendgrünen Malachitpigments.

Leider hat diese Farbintensität stark gelitten, denn durch die Veränderung des Zeitgeistes war dem Meisterwerk nur kurze Zeit beschieden. Es dürfte wohl keine hundert Jahre zu sehen gewesen sein. Warum es schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts weiß übertüncht wurde, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Fest steht jedoch: Die Rekonstruktion ist ein Genuss für die Nachwelt.

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www.kloster-seeon.de

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www.seeon-seebruck.de