Der Biblische Garten von Stomorije rankt sich um eine uralte kroatische Marienwallfahrt. Unweit der Autobahn Zadar-Split finden Besucher das verlorene Paradies. Von Ljerka Oreskovic Herrmann.

Rush-Hour an der Dalmatischen Küste: Die Autos rasen nach Norden, Richtung Trogir, oder nach Süden, Richtung Split zum berühmten Diokletian-Palast. Die  meisten Touristen fahren achtlos weiter, ein kleines Schild missachtend mit der Aufschrift: „Biblijski vrt Stomorija“. Biblischer Garten? In Kroatien? Wäre dieser nicht besser im Heiligen Land zu verorten? Wer abbiegt, dem Hinweis folgend, wird jäh abgebremst: Die Straße besteht nur aus Schotter. Einige Besucher werden den Weg nicht bis zum Ende fahren – zu beschwerlich erscheint die holprige Strecke. Dennoch: Die Mühe lohnt sich!

Eine Quelle mit legendärem Ruf
Die sich windende Straße führt uns weiter ins Hinterland, das Meer scheint weit weg, der Weg führt in eine nie enden wollende Landschaft. Endlich machen wir halt. Riesige Bäume, mit beeindruckenden Wurzeln und knorrigen, von Jahrzehnten gezeichneten Stämmen, nehmen uns noch im Auto sitzend gefangen. Nicht nur die Landschaft auch die Tonlage hat sich verändert; hier lärmen keine Touristen, hier wird nicht um ausländische Besucher gebuhlt: Nein, hier muss sich der Gast einfügen. Ja, man ist hier Gast, man verweilt, aber bleibt nicht. Noch haben wir den Garten nicht betreten. Eine Pforte, die symbolisch mit dem Schlüssel des Petrus’ markiert wird, muss durchquert werden, dann betritt man eine andere Welt – im wahrhaftigen Sinne des Wortes.
Menschenhand hat diesen Garten angelegt; dennoch scheint alles wie selbstverständlich zusammengefügt – nichts ist arrangiert oder gar „designt“. Es ist das verlorene Paradies. So könnte der ursprüngliche Garten Eden ausgesehen haben: Der Mensch ist existentieller Bestandteil, seine Spuren sind erkennbar, er ist Schöpfer und Bewahrer, kein Zerstörer. Dieses Motiv zieht sich durch die gesamte Arbeit der Botanikerin Ivna Bucan und hier an ihrem Herzensprojekt fügen sich alle Elemente zusammen. Auf der Anhöhe befindet sich eine kleine Kapelle aus dem 12. Jahrhundert (heute eine Marienpilgerstätte), die auf einer der ersten nachweisbaren Siedlungsstätten der Kroaten gebaut wurde. Unterhalb des Altars entspringt eine Quelle, deren Lauf sich durch die Gartenanlage zieht. „Einer Legende zufolge“, erklärt uns Ivna Bucan, „bleiben die Menschen, die sich mit dem Wasser des Marienbächleins benetzen, für immer jung!“ Gut, dass es eine Legende ist!

Auch Dornen haben ihren Platz
Die in verschiedene Bereiche eingeteilte Gartenanlage enthält fast alle Pflanzenarten, die in der Bibel erwähnt werden: vom Rebstock über verschiedene Gemüsesorten bis zu den alten Getreide- und Baumarten wie beispielsweise der libanesischen Zeder. Es gibt 110 bis 120 botanische Arten von denen die Bibel spricht, davon finden sich knapp 100 im Biblischen Garten von Stomorije wieder. „Manche“, so Ivna Bucan, „werden hier nie heimisch werden, da das Klima zu rau ist.“ Der diesjährige Januar und Februar waren besonders kalt und, was außergewöhnlich ist, sehr schneereich, was für manche Arten das Aus bedeuten kann. Zu den von ihr angepflanzten Getreidesorten zählen Weizen, Gerste, Mohrenhirse (eine wärmeliebende und frostempfindliche Pflanze, eigentlich aus Afrika stammend und im gesamten Mittelmeerraum verbreitet) und Hirse. Im Gemüsegarten hat sie unter anderem Saubohnen, Kichererbsen, Linsen, Lauch, Zwiebeln, Knoblauch und Zucchini angebaut; im Obstgarten finden wir neben den mediterranen (und obligatorischen) Feigenbäumen, Mandel- und Pistazienbäume, Johannisbrot- und Walnussbäume oder auch den Granatapfelbaum. Und natürlich darf der zum Paradies gehörende Apfel nicht fehlen, steht er doch für den Beginn unserer Menschwerdung: Die vom Bildhauer K. Hraste entworfene Bronzeskulptur erinnert an den ersten Sündenfall und ist Mahnung und Verpflichtung zugleich. Dass der Weg nach der Vertreibung aus dem Elysium dornenreich und beschwerlich war, bezeugen die Dornensträucher; sie werden nicht herausgezupft, sondern wachsen neben anderen Nutzpflanzen und haben ihren angestammten Platz im Biblischen Garten.
Der kleine Weinberg beheimatet alte kroatische Weinsorten: Crljenak Kastelanski  (in den USA unter dem Namen Zinfandel bekannt) und seine Abkömmlinge. Dort befindet sich auch eine Steintafel, die an einen hiesigen Weinbauern erinnert: Dieser ist vor mehr als 40 Jahren nach Kalifornien ausgewandert und hat dort erfolgreich die Zinfandel-Weinproduktion betrieben.

Gesegneter Olivenbaum bringt erste Beachtung
Mit dem Olivenbaum schließt sich der Kreis. Das Ringen um den Ort, jede Anpflanzung, jede Kulturpflanze, jede Erweiterung des Konzepts war ein sich über Jahre hinziehendes Unterfangen, das eine erste Anerkennung findet, als Ivna Bucan 1998 beschließt, einen von Papst Johannes Paul II. bei seinem in Split gefeierten Gottesdienst gesegneten Olivenbaum einzupflanzen. Nun nahm eine größere Öffentlichkeit ihre Arbeit wahr und rieb sich erstaunt die Augen, was die heute fast achtzigjährige Frau mit Beharrlichkeit, Geschick und Weitsicht erschaffen hat. Ivna Bucan hat neben den kroatischen Sorten (zum Beispiel Obolica oder der inzwischen zur Berühmtheit gelangte Kastelaun-Olivenbaum, der mit seinen 1.500 Jahren ein biblisches Alter vorweisen kann) auch eine aus Jerusalem stammende sowie verschiedene wildwachsende Olivensorten vor dem Vergessen gerettet.
Und Gott? Ivna Bucan lächelt nur. Die Antwort darauf kann nur zutiefst individuell gegeben werden: Der Garten als Ort der Selbstreflexion überlässt dem Einzelnen seine Findungssuche. Aber die göttliche Ruhe wird jeder, der wieder hinausgeht, mit Bedauern Petrus’ Pforte passierend, empfunden haben.

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