In Deutschland sterben jeden Tag bis zu 120 Tier- und Pflanzenarten aus. Das hat Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem und auch auf den Menschen. Lebensräume zu erhalten anstatt sie zu zerstören lautet die Devise. Die immer populärer werdenden „Blühstreifen“-Projekte sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Wie viele Vogelarten fallen Ihnen aus dem Stegreif ein? Die ersten fünf Finger werden schnell aufgebraucht sein: Buntspecht, Fasan, Elster, Eisvogel, Kohlmeise, Spatz, Fischreiher, Kranich und so weiter. Wie viele Tier- und Pflanzenarten es weltweit gibt, können nicht einmal Fachleute genau beantworten: Die Schätzungen reichen von weltweit 2 - 20 Millionen Arten, sehr viele davon sind noch nicht einmal beschrieben. Allein in Deutschland geht man von 71 900 Tier- und Pflanzenarten aus. Das klingt viel – aber jeden Tag sterben bis zu 120 Arten aus. Für immer.
Das ist nicht nur schade, weil unsere Welt dadurch an bunter, spannender Vielfalt verliert, die in Jahrmillionen entstanden ist. Es ist auch gefährlich: Denn jede Art ist eingebunden in einen größeren Kreislauf und das „ökologische Gleichgewicht“. Gerät dieses aus der Balance, werden das Wachstum der Natur und damit auch die Produktivität der Landwirtschaft heftig getroffen.
Aber warum? Die meisten Pflanzen müssen bestäubt werden, damit sie blühen, sich vermehren und Früchte tragen. Dazu würde eine einzige Bienenart ausreichen, die diese Aufgabe übernimmt. Bei genauerem Hinschauen sieht man aber, dass Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und Co. sich diese Arbeit teilen und unterschiedliche Vorlieben haben: Die eine Hummelart fliegt lieber tiefliegende Pflanzen an, andere findet man vorwiegend in Bäumen und Schmetterling A präferiert eine andere Blütenfarbe als Schmetterling B. Durch diese Spezialisierung herrscht Harmonie, jeder hat seine Nische. Im Umkehrschluss werden aber die blauen Blüten weniger gut oder gar nicht mehr bestäubt, wenn der darauf spezialisierte Schmetterling ausstirbt – wodurch auch diese blaue Blütenpflanze seltener wird.

Kettenreaktion mit schlimmen Folgen
An jeder Art hängen oft noch weitere, die für ihr Überleben auf eben dieses Tier oder diese Pflanze als Nahrung angewiesen sind oder die es als Lebensraum nutzen. Wird dieser unbewohnbar oder ist gar nicht mehr vorhanden, müssen sie einen neuen suchen. Doch unter anderen Bedingungen als denen, die in ihrer Nische herrschen, können viele Arten nur schwer oder gar nicht überleben. Wenn das passiert, kann eine Kettenreaktion beginnen und das natürliche Gleichgewicht gerät aus der Balance: Verschwindet etwa der Klee auf einer Wiese, hat das direkte Folgen für Rüsselkäfer, die sich davon ernähren. Schlupfwespen, die sich von Rüsselkäfern ernähren, finden keine Nahrung mehr und so bleiben auch Vögel der Wiese fern. Diese Vögel fehlen dann wiederum zum Säen neuer Pflanzen durch ihre Ausscheidungen.

Dinge überlegt tun
Auch für uns Menschen ist die natürliche Vielfalt die Lebensgrundlage schlechthin: Wir leben ebenfalls von Luft, Wasser und Nahrung – darüber hinaus nutzen wir die Natur zu vielfältigen Zwecken. Wir haben also allen Grund, uns intensiv um den Erhalt der Arten zu kümmern. Tun wir das nicht, sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen. Wie so oft haben wir Menschen den Schlüssel in der Hand, Lebensräume zu erhalten anstatt sie zu zerstören. Manches können wir zwar nicht ändern, denn wir brauchen Platz für neue Wohnungen, für Straßen und für Äcker, auf denen unsere Nahrung angebaut wird. Aber wir können versuchen, diese Dinge so zu tun, dass sie möglichst wenig in die Artenvielfalt eingreifen.
Vor allem die Landwirtschaft hat einen großen Einfluss auf die Artenvielfalt. Die Bewirtschaftung wird immer intensiver, jeder Quadratzentimeter soll optimal genutzt werden, weswegen Flächen vergrößert und damit die Lebensräume in Hecken zerstört werden, wenige schnell wachsende ertragreiche „Allerwelts“-Sorten verdrängen die althergebrachte Vielfalt, kräftige Düngergaben nehmen Arten, die an nährstoffarme Lebensräume angepasst sind, den Lebensraum.

Wertschöpfungskette erhalten
Dass das nicht so sein muss, beweisen viele Bio-Landwirte. Sie verzichten auf synthetische Dünger, setzen auf robustere Arten und mehr Vielfalt, tolerieren Ackerwildkräuter, pflegen Biotope und gönnen ihren Flächen Erholungszeiten. Das ist oft mit mehr Aufwand und weniger Ertrag verbunden, hat aber positive Auswirkungen auf die Lebensgrundlage von uns allen. Noch viel zu wenige Lebensmittelhersteller haben verstanden, dass der Wegfall landwirtschaftlicher Flächen zugunsten von Biogas-Maisanbau, die Reduktion der angebauten Sorten, weniger blütenbestäubende Insekten oder zunehmender Eintrag von umweltschädigenden Stoffen in die Natur direkt und unmittelbar ihre Existenzgrundlage gefährden.
Susanne Horn von der Bio-Brauerei Neumarkter Lammsbräu erklärt: „Unsere Bio-Landwirte sind diejenigen Akteure, die in der gesamten Wertschöpfungskette den größten Einfluss auf den Erhalt der Biodiversität ausüben, also müssen wir sie dabei unterstützen.“ Neben vielen kleineren Projekten sponsert die Brauerei deswegen seit 2010 jährlich zweien ihrer Vertrags-Landwirte die Teilnahme an einem Kulturlandplan-Projekt. Zusammen mit der Bioland-Fachberatung erstellen sie Hofindividuelle Pläne, wie unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten, Vorlieben und Möglichkeiten mehr Naturschutz in den Betrieb integriert werden kann. Das kann die Pflege einer vernachlässigten Streuobstwiese sein oder das Anlegen eines Feuchtbiotops – jeder tut, was er kann und was ihm am Herzen liegt. Der Erfolg solcher Maßnahmen ist sogar messbar: Im vergangenen Jahr wurden auf den Höfen mit Kulturlandplan mehr Ackerflächen extensiv genutzt, wodurch die Artenvielfalt um 30 Prozent zunahm. Setzt man diesen positiven Effekt ins Verhältnis zu den ungleich größeren konventionell bewirtschafteten Anbauflächen, wird die davon ausgehende Gefahr für die Vielfalt klar.
Deswegen sind die immer populärer werdenden „Blühstreifen“-Projekte ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Jedes Jahr nehmen auch zehn Lammsbräu-Bauern an einem solchen Projekt teil, das zu gleichen Teilen von der Erzeugergemeinschaft und der Brauerei finanziert wird. Ziel ist es, wieder mehr Blütenpflanzen auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen auszubringen, um somit Nahrung für Bienen und andere Insekten zur Verfügung zu stellen und den Monokulturen wenigstens ein klein wenig entgegenzusetzen.

 

Artenvielfalt schützen

Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie jeder Einzelne zu mehr Artenvielfalt beitragen kann. Fangen Sie beim nächsten Spaziergang gleich damit an und achten Sie darauf, wie viele verschiedene Arten Sie entdecken können. Schärfen Sie Ihren Blick, denn was man kennt, das schützt man.

Zusammen Artenvielfalt bewahren:
• Pflücken Sie keine seltenen Pflanzen.
• Hängen Sie Nistkästen für Vögel und Fledermäuse auf oder basteln Sie ein Insektenhotel.
• Begrünen Sie Mauern, gestalten Sie Ihren Garten naturnah, bauen Sie alte Sorten an.
• Kaufen Sie bewusst: Geben Sie Bio-Produkten den Vorzug, kaufen Sie nur Fisch, der aus nachhaltigem Fang und Gebieten ohne Überfischung stammt.
• Informieren Sie sich bei Naturschutzverbänden, hier können Sie auch bei der Pflege von Biotopen, Streuobstwiesen etc. helfen.

Foto: K atharina Schertler, Bioland

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