„Alle Menschen streben von Natur nach Wissen“, mit diesen Worten beginnt Aristoteles (384-322 v. Chr.) das erste Kapitel der „Ersten Philosophie“, die auch als Metaphysik bezeichnet wird. Er begründet dieses Streben mit der Freude am Funktionieren der Sinnesorgane, vor allem der Augen, auch wenn keine unmittelbare Handlung beabsichtigt ist. Denn die Augen ermöglichen das Sehen und die Verdeutlichung der Unterschiede. Mit dem Streben nach Wissen knüpft Aristoteles an das sokratische Verständnis der Philosophie als „Liebe zur Weisheit“ an und in dieser Tradition sind alle Menschen, die nach Weisheit streben, Freunde der Philosophie, Philosophen. Philosophie bedeutet Suchen, Fragen, Erklären. Diese Suche beginnt mit den Sinneswahrnehmungen, in erster Linie dem Sehen, führt darüber zur Erfahrung und von dieser Erfahrung zum Wissen, zur Erkenntnis. Es geht darum, das mit den Augen Wahrnehmbare nicht nur zu sehen sondern über den Weg der Erfahrung, zu erkennen. Für Aristoteles ist es wichtig, nicht bei den Sinneseindrücken stehenzubleiben sondern nach den ersten Ursachen und Prinzipien zu fragen und die Weisheit ist für ihn daher eine Wissenschaft von gewissen Ursachen und Prinzipien. Da Weisheit eine Wissenschaft ist, ist sie erlernbar und für jeden, der sich dafür interessiert und darauf einlässt, zugänglich. Nun stellt sich die Frage, von welchen Ursachen und Prinzipien diejenige Wissenschaft handelt, die als Weisheit bezeichnet wird. Für Aristoteles muss es die Wissenschaft sein, die das Allgemeine, Universale zum Gegenstand hat, denn alles andere ist diesem Allgemeinen untergeordnet. Das Allgemeine ist aber am Schwierigsten zu erkennen, weil es am weitesten von dem Erfahrbaren entfernt ist. Die Wissenschaft der Weisheit ist die Wissenschaft, in der es um Wissen und Erkennen um ihrer selbst willen geht, die sich gewissermaßen selbst zum Gegenstand hat, es ist die Wissenschaft des im höchsten Sinne Wissbaren, über das hinaus nichts Höheres gewusst werden kann. Im höchsten Sinne wissbar sind die ersten Prinzipien und Ursachen, denen alles andere untergeordnet ist, die als göttliche Prinzipien bezeichnet werden. Diese Wissenschaft, die Aristoteles meint, ist die göttlichste und ehrwürdigste, weil sie das Göttliche zum Gegenstand hat. Diejenige Wissenschaft ist für ihn göttlich, welche der Gott am meisten haben mag und die gleichzeitig das Göttliche zum Gegenstand hat. Denn Gott gilt allen für eine Ursache und Prinzip, Gott ist das höchste Allgemeine, die höchste Universalie, die gedacht, erfahren und gewusst werden kann.

Die aristotelische Philosophie bezeichnet Gott als Erstursache und -prinzip für alles Sein und Ziel der Weisheit als Wissenschaft ist es, wenn nicht allein, doch aber am meisten ,Gott zu besitzen, über Gott Bescheid zu wissen. Klingt es zu Beginn des Kapitels wie eine Feststellung, dass alle Menschen nach Wissen streben, so wandelt sich diese doch zum Schluss in eine Wesensbestimmung des Menschen. Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen und als solches zur Erkenntnis fähig. Das Wesen der Weisheit liegt für Aristoteles in der Erkenntnis des göttlichen Prinzips, der Erkenntnis Gottes.  Wer zu dieser Erkenntnis gelangt, der ist wirklich weise.

Von Helga Ranis

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