Die unmittelbare Umgebung scheint meist zu gewöhnlich, um sie als Ausgangspunkt für Wanderungen oder gar Wochenend-Tripps ins Auge zu fassen. Das gewohnte Umfeld mit frischem Blick zu betrachten, die immer gleichen Wege zu verlassen und den Aktionsradius zu erweitern, macht unerwartete Erlebnisse möglich. Von Andrea Tichy.

Die Traun kenne ich seit meiner Kindheit und sie schien mir so vertraut, dass ich ihr lange Zeit keine Überraschungen außer Hochwasser zugetraut hatte. Spaziergänge führten von meiner Heimatstadt Traunstein entweder eine Stunde talwärts zum sogenannten Globenstein, einem gespaltenen Felsblock mit Marienverehrung. Oder aber gegen den Strom ins sieben Kilometer entfernte Siegsdorf. Früher wäre es mir nicht in den Sinn gekommen, die Traun als Ausgangspunkt für Gedankenspiele, Wanderungen oder gar Wochenend-Tripps in Erwägung zu ziehen.
Erstmals hellhörig wurde ich vor einigen Jahren bei einer festlichen Gala, als mein Tischnachbar die Traun als eines der besten europäischen Reviere fürs Fliegenfischen rühmte. Von weither kämen die Hobbyfischer, um sich in der Traun ihre Träume vom Anglerglück zu erfüllen, so erzählte er. Ich wurde neugierig und meine Recherchen ergaben: In der Weißen und Roten Traun tummeln sich Forellen, die bis zu 60 Zentimenter lang und drei Kilo schwer werden. Anders als in anderen Flüssen werden die Fische nicht extra gezüchtet; die jungen Wildfische  werden lediglich mit Futtergaben von den Fischereivereinen gepäppelt. Entsprechend ihrer wilden Abstammung wird die Jagd auf die kostbaren Fische limitiert: So vergibt etwa Rudi Heger für sein Revier rund um Siegsdorf pro Tag maximal sechs Erlaubnisscheine und jeder Fischer darf nur einen Fisch aus dem Fluss holen. Fischt er mehr Fische, muss er sie wieder in die Freiheit entlassen.

Rund 1500 Kilometer bis zum Schwarzen Meer
Den Ausschlag, die Traun als spannendes Wanderrevier zu betrachten, ergab allerdings ein Gedankenspiel. Ich wusste: Die Traun fließt in die Alz, in den Inn, in die Donau und ins Schwarze Meer. Theoretisch könnte ich dem Wasser der Traun über rund 1 500 Kilometer bis ins Donaudelta folgen. Dessen Schilfinseln, Binnenseen, Lagunen und Kanäle sollen ein Paradies für seltene Vögel sein. Wohl auch deshalb wurde das Donaudelta in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
39W05-Traun-Beitrag-2Fürs erste beschloss ich, zusammen mit einer Freundin, 15 Kilometer flussaufwärts nach Ruhpolding zu gehen, wo ich zuvor schon hundertemale mit dem Auto war. (Es ist der Ort, der Schnee hortet und deshalb auch in schneearmen Wintern Biathlon-Wettbewerbe abhalten kann). Die Strecke entpuppte sich als abwechslungsreiche Tagestour: Die Erweiterung meines persönlichen Zufuß-Geh-Radius in Siegsdorf begingen wir erst einmal mit einem ausgiebigen Einkehrschwung im gemütlichen Café Weinmann. Länger als geplant ließen wir hier unsere Seelen baumeln, bevor wir am fortgeschrittenen Nachmittag weiter marschierten. Nun staunten wir darüber, welche Farben die Traun auf ihrem Weg nach Eisenärzt annimmt, sie schimmert sogar türkis und das im Winter. Weiter in Richtung Ruhpolding konnten wir die Traun von einem Hügel aus sehen und das Flussbett war wie ein Canyon – von Langeweile keine Spur. In der Dunkelheit kamen wir schließlich in Ruhpolding an und wie ein Wunder stand am Bahnhof ein Zug bereit, der uns in einer Viertelstunde die Strecke zurück brachte, für die wir einen Dreivierteltag gebraucht hatten.

Alternative zum Skifahren
Fast ein Jahr später verbringe ich die Weihnachtsferien wieder in meinem Geburtsort und weil es kaum Schnee gibt, fällt der Wintersport aus. Wieder gehe ich besagte Strecke nach Siegsdorf, dieses Mal aber habe ich keine Lust, den Hauptweg zu nehmen und probiere den kleinen Pfad, der sich unmittelbar am Ufer der Traun entlang schlängelt. Zwar ist der Autolärm noch immer ein akustisches Ärgernis, es wird jedoch überstrahlt von der Schönheit des Fluss-Bettes: Das kristallklare Wasser umfließt hellgleißende Steine, bildet tiefe Stellen, in denen sich die Gestalt dunkler Forellen abzeichnet. Ein Fischreiher fliegt auf und verlagert seinen Standort, um Ausschau nach Beute zu halten. Weil ich mich aus Neugierde zwinge, auf dem Rückweg auf der noch lauteren Flussseite direkt entlang der Bundesstraße zu gehen, werde ich von einem spektakulären Ausblick belohnt: dem Zusammenfluss von Roter und Weißer Traun. Er lässt sich von einer kleinen Landspitze aus bewundern.

Vorfreude aufs Altbekannte in neuem Licht
Und ich verdanke diesem Spaziergang weitere Pläne: Unweit vom Zusammenfluss der beiden Traun-Quellflüsse fällt mein Blick auf ein Schild, auf dem zu lesen ist: „Soleleitungsweg, 34,4 km, 10 1/4 Stunden“. Ich bin elektrisiert und vor meinem geistigen Auge nehmen die Attraktionen des Wegs gleich Gestalt an. Der Weg führt an der Roten Traun entlang der Strecke der weltweit ersten Pipeline. Sie befördete im frühen 17. Jahrhundert Sole von Bad Reichenhall nach Traunstein, um sie dort zu Salz zu versieden. Weil das zur damaligen Zeit ein energieintensiver Prozess war, hatte man in Bad Reichenhall alles verfügbare Holz schon verfeuert. Und so kam man auf die Idee, die Sole zum Holz zu bringen. Traunstein saß an der Holzquelle, denn dorthin konnte man Baumstämme aus der waldreichen Gegend um Ruhpolding auf der Weißen Traun triften. Über 300 Jahre hinweg sorgte das Salinenwesen in Traunstein für Wohlstand, bis man es schließlich im Jahr 1912 einstellte.
Entlang des Soleleitungswegs gibt es immer noch Relikte dieses für die damalige Zeit unerhörten Projektes zu sehen: Ausgehöhlte Baumstämme, die als Leitungen genutzt wurden, Brunnenhäuser, die dazu dienten, die Sole über Hindernisse zu pumpen. Oder das wildromantische Mauthäusl, das den Salz-Säumern als Raststation diente. In den unzähligen Sonntagsausflügen meiner Kindheit habe ich all diese Orte schon besucht, aber die Vorstellung, sie in zwei Tagen zu erwandern, gibt ihnen eine neue Magie. Ich kann es gar nicht erwarten, dieses Abenteuer zu starten.

Die deutsche Traun

Traun ist der Name von mehreren Flüssen; die deutsche Traun fließt durch Südost-Oberbayern und zeichnet sich durch kristallklares Wasser aus. Gespeist wird die deutsche Traun durch die Rote Traun und die Weiße Traun, die sich bei Siegsdorf vereinen. „Der Traun können Sie ruhig trauen“ lautete schon in den 1970er Jahren das Fazit eines wissenschaftlichen Beitrags für Jugend forscht.
Heutzutage ist die Vielzahl der darin vorkommenden Forellen ein Beleg für ihre hervorragende Wasser-Qualität.

Fotos: Andrea Tichy | Roland Tichy | Monika Frei-Herrmann

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Der Soleleitungsweg

39W05-Soleleitung-2Der Soleleitungsweg verbindet die Städte Traunstein und Bad Reichenhall miteinander und führt in weiten Strecken der Traun entlang. Er ist Teil eines 230 km langen Weitwanderwegs, der unter dem Namen SalzAlpenSteig von Bayern über Salzburg bis nach Oberösterreich führt.
Fünf Urlaubsregionen sind dafür über Jahrhunderte gewachsene Wanderwege zusammengeschlossen.
Der genaue Verlauf des SalzAlpenSteigs ist in der gleichnamigen Wander-Tourenkarte von Kompass nachzuvollziehen.
www.salzalpensteig.com

 

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