In Zeiten der Energiewende werden Technologien dringend gesucht, die den Spagat zwischen Atomausstieg und Umweltschutz hinbekommen. Der „Heatpipe-Reformer“ kann aus Holzreststoffen Wärme und Strom produzieren und entspricht damit den wertkonservativen Vorstellungen einer Region, die energieautark werden möchte. Von Andrea Tichy.

Das Achental ist eine idyllische Landschaft, wie es sie in Deutschland nur noch selten gibt. Auf ihrem Weg von der österreichischen Grenze bis zum südlichen Ufer des Chiemsees fließt die Tiroler Achen durch große Moorgebiete, Streuwiesen und Auwälder, durch Lebensräume vieler seltener Pflanzen- und Tierarten. Der Tourismus ist ein wichtiges Standbein dieser als „besonders wertvoll“ eingestuften Landschaft und künftig könnte der Waldbau wieder den Stellenwert einnehmen, den er in dieser Gegend in früheren Zeiten hatte. Immerhin ist die Hälfte des gesamten Gebiets mit Wald bedeckt und die Holzreststoffe können dazu beitragen, dass aus dieser stolzen Gegend eine noch stolzere wird: bis zum Jahr 2020 wollen sich die 30.000 Einwohner der Region Achental von teuren Ölimporten zum Heizen und für die Stromerzeugung unabhängig machen.

Pilotprojekt einer einzigartigen Technologie
Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die Region Achental unter anderem auf eine Technologie, wie sie derzeit weltweit noch nirgendwo anders eingesetzt wird: auf den sogenannten Heatpipe-Reformer. Eigentlich beruht die Technologie auf dem Prinzip des Holzvergasens, wie man es schon während des Zweiten Weltkriegs einsetzte, als Ölimporte knapp wurden. Aber Ingenieure an der Technischen Universität (TU) München haben sie technologisch so aufgepeppt, dass sie einen sensationellen Wirkungsgrad zu erzeugen vermag (siehe Randspalte) und wirtschaftlich betrieben werden kann. Um die neue Technologie zur Marktreife zu entwickeln, gründeten sie in Pfaffenhofen die agnion Technologies GmbH, sammelten im Inland und Ausland Investorengelder ein und erhielten für ihre Engagement bereits diverse Auszeichnungen, unter anderem von der „Wirtschaftswoche“.
Mit einer Fördersumme von rund einer Million Euro unterstützte das  Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Firma agnion und den Markt Grassau nun dabei, die erste Pilotanlage zu bauen. Anfang Mai 2012 wurde der Heatpipe-Reformer auf dem Gelände des Biomassehofes Achental offiziell in Betrieb genommen, ein evangelischer und ein katholischer Diakon spendeten ihren Segen und die Innovation wird von vielen Einwohnern willkommen geheißen: „Mit der Nutzung der Bioenergie sind wir auf dem richtigen Weg zur Energiewende“, sagt Rudi Jantke, Bürgermeister der Marktgemeinde Grassau. Etwa einen Lastwagen an Holzabfällen verbraucht der Heatpipe-Reformer täglich (pro Stunde rund 500 kg), früher sind die Holzabfälle in die Spanplatten-Produktion Österreich gegangen, heute bleiben sie in der Region.
Die beim Vergasen des Holzes entstandene Wärme wird ins Fernwärmenetz der Marktgemeinde Grassau eingespeist und der durch einen Gasmotor erzeugte Strom fließt in das Stromnetz von E.ON. Wolfgang Wimmer, Geschäftsführer des Biomassehofs Achental, freut sich: „Die Biomasse trägt auch ganz wesentlich zur CO2-Einsparung bei, denn sie verbrennt nahezu CO2-neutral.“ Wimmers Ziel ist es, in der Region geschlossene Kreisläufe zu erzeugen, in die auch kleine Waldbesitzer mit eingebunden werden. „Und die sind froh, wenn sie einen verlässlichen Partner haben.“ Über seinen Biomassehof lässt Wimmer in der ganzen Region nach verfügbaren Holzabfällen fahnden und das stimuliert die Bewirtschaftung von Wäldern, die sich noch vor nicht allzu langer Zeit kaum lohnte: „Wir haben in Deutschland genügend Wald; wichtig ist, dass wir ihn ordnungsgemäß bewirtschaften.“

Amortisation in fünf Jahren
Die rund 40 Mitarbeiter der Firma agnion Technologies GmbH sind davon überzeugt, mit dem Heatpipe-Reformer einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende zu leisten. Denn letzlich lässt sich das Synthesegas zur Erzeugung von Strom und Wärme aus jeglicher kohlenstoffhaltigen Biomasse gewinnen. Derzeit allerdings konzentrieren sie sich auf Holz und arbeiten intensiv daran, immer minderwertigeres Material effizient vergasen zu können, da dieses in größeren Mengen und zu niedrigeren Preisen zur Verfügung steht. Am Anfang verfeuerten sie noch Holzpellets, derzeit stellen sie auf kostengünstigere Hackschnitzel um. Genaue Zahlen bezüglich der Kosten für eine Kilowattstunde Strom sind zwar nicht in Erfahrung zu bringen, aber die rund 2,5 Millionen Euro teure Anlage soll sich innerhalb von fünf Jahren amortisieren.
Auch arbeiten die Ingenieure des Unternehmens daran, die Anlagen kompakter und kleiner zu machen. In nicht allzu ferner Zeit sollen sie sich aus standardisierten Bauteilen zusammen setzen lassen, so wie ein Fertighaus. Noch aber besteht in der Referenzanlage in Grassau vieles aus Einzelfertigung, auch wenn versucht wird, zunehmend Standard-Komponenten zu verbauen. Der Funke der Begeisterung angesichts der Raffinesse der Technologie springt bei der Führung durch Projekmanager Dr. Peter Zimmermann schnell auf die Besucher über.

Waldbesitzer als Kraftwerksbetreiber
Der Andrang der Interessierten ist groß: Von kommunalen Entscheidern bis hin zu Waldbesitzern geben sich in dem futuristischen Gebäude die Besuchergruppen förmlich die Klinke in die Hand. Die nächsten Heatpipe-Reformer sind schon in Bau. In Südtirol entsteht derzeit eine Anlage mit der doppelten Leistung von Grassau. Möglicherweise werden die Heatpipe-Reformer schon bald zum Wahrzeichen von Waldbesitzern, so wie heute Solarkollektoren die Scheunendächer von Bauernhöfen prägen. Der große Vorteil: Diese Technologie ist von Sonnenschein unabhängig und erzeugt Strom und Wärme rund um die Uhr.

Foto: agnion

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Heatpipe-Refomer
Mit einem Gesamtwirkungsgrad von 80 Prozent lassen sich kohlenstoffhaltige Brennstoffe im sogenannten Heatpipe-Reformer der Firma agnion so effizient wie sonst nirgends in Systemen dieser Größenordnung in Strom und Wärme umsetzen. Der Unterschied zum herkömmlichen Holzvergaser: Der Brennstoff wird nicht in einer Kammer, sondern in zwei verschiedenen Kammern und unter Druck in Gas umgewandelt. In der Brennkammer werden Pellets oder Holzschnitzel verbrannt; die dabei entstehende Hitze ermöglicht im nachgeschalteten „Reformer“ (mit Wirbelschicht aus Sand und Wasserdampf) die Produktion eines energiereichen Synthesegases, das für den Antrieb eines Gasmotors zur Stromerzeugung genutzt wird. Das System ist so ausgelegt, dass die entstehende Wärme bestmöglich genutzt wird: Über sogenannte Heatpipes – hochmoderne Wärmetauscher – werden im Reformer Temperaturen um die 800° Celsius erzeugt. Wollte man dies mit herkömmlichen Wärmetauschern erreichen, müßte die Anlage mehrfach so groß sein. Der Heatpipe-Reformer kann 200 Haushalte mit Wärme und 700 mit Strom versorgen.
www.agnion.de

Die Bioenergie-Region Achental –
im Südosten Bayerns gelegen – hat es sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe von  Biomasse bis zum Jahr 2020 energieautark zu werden. Die Nutzung von Holz und Holzabfällen ist in der Region seit Jahrhunderten weit verbreitet. Im Jahr 2005 wurde das Achental als grenzübergreifende Modellregion für das EU Forschungsprojekt RES-Integration ausgewählt, um eine Strategie zum weiteren Ausbau der Bioenergie zu entwickeln. Zwei Jahre später wurde der Biomassehof Achental gegründet, der alle Aktivitäten koordiniert, die  Holzreststoffe in der Region einsammelt und zu Pellets oder Hackschnitzeln verarbeitet. Ein Teil der Hackschnitzel wird in einem Heizwerk verbrannt, das 500 Haushalte mit Wärme versorgt. Auch der kürzlich eingeweihte Heatpipe-Reformer wird damit gefüttert.

www.bioenergie-region-achental.de

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